Marco Polo der Besessene 1
eine Zelle für Euch allein bekommt.«
Ich erklärte: »Ich bezweifle, dass ich woanders weniger
unglücklich wäre, Fra Ugo. Ich bleibe in dieser hier.«
»Wie Ihr wünscht«, sagte er. »Nun, ich habe mich mit dem
Haus Polo in Verbindung gesetzt, denn offenbar seid Ihr ja,
wenn auch noch minderjährig, nominell dessen Oberhaupt.
Deshalb könnt Ihr es Euch ja durchaus leisten, das casermagio
selber zu zahlen und Euch auch noch einen Advokaten Eurer
Wahl zu nehmen. Ihr braucht nur die notwendigen pagheri
auszustellen und die Firma zu beauftragen, sie einzulösen.«
Unsicher sagte ich: »Das würde für die Firma nur eine
öffentliche Demütigung darstellen. Außerdem weiß ich nicht, ob
ich ein Recht habe, die Mittel der Firma einfach so
auszugeben...«
»Und zwar für eine verlorene Sache«, ergänzte er noch und
nickte zustimmend. »Das verstehe ich sehr gut.«
Erschrocken fing ich an, das Gegenteil zu beteuern: »Damit
wollte ich keineswegs sagen... das heißt, ich hoffe doch...«
»Wenn Ihr das eine nicht wollt, müßtet Ihr die Hilfe der
Bruderschaft der Gerechtigkeit in Anspruch nehmen. Damit die
dafür aufgewendeten Gelder wieder hereinkommen, ist es der
Bruderschaft gestattet, zwei Bettler auf die Straße zu schicken,
die von den Bürgern der Stadt milde Gaben erbitten für den
unglückseligen Marco P...«
»Amore Dei!« rief ich aus. »Das wäre ja noch unendlich viel
demütigender.«
»Ihr braucht Eure Wahl nicht auf der Stelle zu treffen.
Unterhalten wir uns statt dessen lieber über Euren Fall. Wie
wollt Ihr Euch verteidigen?«
»Mich verteidigen?« sagte ich entrüstet. »Nicht verteidigen,
sondern protestieren, meine Unschuld beteuern.«
Bruder Ugo warf wieder einen Blick zu dem Juden hinüber, und
zwar diesmal einen angewiderten, gleichsam als argwöhne er,
dass man mir bereits Ratschläge erteilt hätte. Mordecai
begnügte sich damit, ein belustigt-skep tisches Gesicht
aufzusetzen.
Ich fuhr fort: »Als ersten Zeugen rufe ich Dona Ilaria auf. Wenn
sie gezwungen ist, unser...«
»Sie wird nicht vorgeladen werden«, fiel mir der Fratre ins Wort.
»Das würden die Signori della Notte nicht erlauben. Diese
Dame hat vor kurzem einen überaus schmerzlichen Verlust
erlitten und ist noch tief gebeugt vor Gram.«
Höhnisch erklärte ich: »Wollt Ihr mir etwa weismachen, sie
trauerte um ihren Gatten...?«
»Nun«, sagte er mit Bedacht, »wenn auch vielleicht das nicht,
so könnt Ihr doch sicher sein, dass sie zu erkennen gibt, tief
bekümmert darüber zu sein, dass sie jetzt nicht die Dogaressa
von Venedig ist.«
Cartafilo ließ einen Laut vernehmen, der sich anhörte wie ein
unterdrücktes Kichern. Vielleicht habe auch ich einen Laut von
mir gegeben -einen Laut des Entsetzens -, denn diese
Möglichkeit war mir bisher noch nicht in den Sinn gekommen.
Ilaria mußte ja vor Enttäuschung und Wut kochen. Als sie sich
darum bemüht hatte, dass man ihr den Gatten vom Hals
schaffte, war sie im Traum nicht darauf gekommen, welche
Ehre ihm -und damit auch ihr -zuteil werden sollte. Folglich
war sie jetzt bestimmt geneigt, ihren eigenen Anteil an dem
ganzen Geschehen zu vergessen und zu verdrängen;
wahrscheinlich verzehrte sie sich vor Verlangen, sich für den ihr
entgangenen Titel zu rächen. Dabei spielte es gewiß keine
Rolle, wem gegenüber sie ihrem Zorn Luft machte, und wer
stellte schon ein leichteres Ziel dar als ich?
»Wenn Ihr unschuldig seid, Messer Marco«, sagte Ugo, »wer
hat den Mann dann ermordet?«
Ich sagte: »Ich glaube, es war ein Priester.«
Lange ließ Bruder Ugo den Blick auf mir ruhen, ehe er
schließlich gegen die Zellentür klopfte, um hinausgelassen zu
werden. Als die Tür knarrend in Kniehöhe unter ihm aufging,
sagte er zu mir: »Ich schlage vor, Ihr sucht Euch selbst einen
Advokaten, der Euch vertritt. Wenn Ihr vorhabt, einen
ehrwürdigen Priester zu beschuldigen und Euer wichtigster
Zeuge eine auf vendeta bedachte Dame ist, braucht Ihr den
besten Rechtsbeistand, den es in der gesamten Republik gibt.
Ciao.«
Nachdem er gegangen war, sagte ich zu Mordecai: »Alle Welt geht davon aus, dass mein Schicksal besiegelt ist, gleichgültig, ob ich schuldig bin oder nicht. Es muß doch irgendein Gesetz geben, das die Unschuldigen davor bewahrt, widerrechtlich verurteilt zu werden.«
»Aber mit Sicherheit gibt es das. Doch gibt es auch eine alte
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