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Marco Polo der Besessene 1

Marco Polo der Besessene 1

Titel: Marco Polo der Besessene 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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dabei, ein Bittgesuch an
    die Quarantia zu stellen -sie wollen Euch besuchen, und das
    wird für gewöhnlich nur dem Advokaten eines Gefangenen
    erlaubt. Wer weiß, vielleicht gelingt es Eurem Vater und Onkel,
    das Gericht milde zu stimmen. Und wenn sonst nichts, sollte
    allein ihre Anwesenheit beim Verfahren Euch moralisch eine
    Stütze sein. Und Euch etwas das Rückgrat stärken, wenn Ihr
    den Gang zu den Säulen antreten müßt.« Nach dieser
    fragwürdigen Ermunterung ließ er mich wieder allein. Mordecai
    und ich saßen da und ergingen uns bis tief in die Nacht in den
    phantastischsten Spekulationen. Wir waren immer noch dabei
    zu reden, als das coprifuoco verklungen war und ein Wächter
    uns durch das Loch in der Tür zugerufen hatte, wir sollten die
    schwache Tranfunzel auf dem Boden löschen.
     
    Weitere vier oder fünf Tage mußten vergehen, Tage voller
    Unruhe für mich, doch dann ging die Tür wieder knarrend auf,
    und ein Mann kroch herein, ein Mann, so beleibt, dass er Mühe
    hatte, sich durch die Luke hindurchzuzwängen. Als er es
    endlich geschafft hatte, richtete er sich auf und schien sich
    immer weiter aufzurichten -so groß war er. Ich hatte nicht die
    geringste Ahnung, mit jemand verwandt zu sein, der so groß
    war wie er. Er war ebenso behaart wie beleibt, das Haupthaar
    zerzaust, der bläulichschwarze Bart starr und kratzig. Aus
    einschüchternder Höhe schaute er auf mich herab, und seine
    Stimme klang geringschätzig, als er dröhnend zu mir sagte:
     
    »Ja, wenn das nicht die größte merda mit Brotkruste drauf ist!«
    Verschüchtert sagte ich: »Benvegnuo, caro pare.«
    »Ich bin nicht dein Vater, du Unglücksrabe! Ich bin dein Onkel
     
    Mafio.«
    »Benvegnüo, caro zio. Kommt denn mein Vater nicht?«
    »Nein. Es ist uns nur gelungen, die Besuchserlaubnis für einen
     
    zu erlangen, und er sollte ja aus Trauer um deine Mutter in
    Abgeschiedenheit verbleiben.«
    »Oh, ja.«
     
    »In Wahrheit ist es jedoch so, dass er vollauf damit beschäftigt
     
    ist, seiner nächsten Frau den Hof zu machen.«
    Das versetzte mir einen mächtigen Stoß. »Wie bitte? Wie kann
    er nur?«
     
    »Wer bist du, dass du es dir leis ten kannst, so mißbilligend zu
    reden, du mißratener scagaron? Da kommt der arme Mann aus
    der Fremde nach Hause, bloß um festzustellen, dass sein Weib
    längst unter der Erde ist, ihre Zofe auf Nimmerwiedersehen
    verschwunden, ein wertvoller Sklave verloren, sein Freund, der
    Doge, ist tot -und sein Sohn, die Hoffnung der Familie, im
    Kerker mit der Anklage des gemeinsten Meuchelmordes, den
    es in der Geschichte Venedigs je gegeben!« Um auf diesen
    Erguß noch so laut, dass jeder im vulcano es hören mußte,
    hinzuzusetzen: »Sag mir die Wahrheit! Hast du es getan?«
     
    »Nein, Herr Onkel«, sagte ich verzagt. »Doch was hat das alles
     
    mit einer neuen Frau zu tun?«
    Nicht mehr ganz so tönend, aber dafür in mißbilligendem Ton
    sagte er: »Dein Vater ist Frauen blind ergeben. Aus
    irgendeinem Grund liebt er es, verheiratet zu sein.«
     
    »Dann hat er eine merkwürdige Art gewählt, meiner Mutter das
    zu zeigen«, sagte ich. »Einfach fortzureisen und sich nicht
    wieder blicken zu lassen.«
     
    »Und er wird auch wieder fortreisen«, sagte Onkel Mafio. »Das
    ist ja der Grund, warum er eine vernünftige Frau braucht, die
    das Familienvermögen zusammenhält. Er hat nicht die Zeit, erst
    auf noch einen Sohn zu warten. Da muß es eben eine andere
    Frau sein.«
     
    »Warum denn überhaupt etwas anderes?« fragte ich. »Er hat
     
    schließlich einen Sohn.«
    Mit Worten antwortete mein Onkel nicht auf diese Erklärung. Er
    musterte mich nur kalt von Kopf bis Fuß und blickte sich dann
    langsam in der kleinen, dämmrig erhellten und moderig
    riechenden Zelle um.
     
    Kleinlaut sagte ich: »Ich hatte gehofft, Ihr könntet mich hier
    herausholen.«
     
    »Nein, rauspauken mußt du dich selbst«, erklärte mein Onkel, und mir sank das Herz. Gleichwohl sah er sich weiter forschend im Raum um und sagte, gleichsam als denke er laut: »Von allen Schrecken, die eine Stadt befallen können, hat Venedig immer am meisten Angst vor einer Feuersbrunst gehabt. Ganz besonders bedrohlich wäre es, wenn eine solche auf den Dogenpalast und die darin enthaltenen stadteigenen Schätze übergriffe, oder auch auf die Basilika San Marco mit ihren womöglich noch unersetzlicheren Schätzen. Da aber der Palast neben diesem Kerker steht und die Kirche an die andere Seite angrenzt, haben die

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