Marco Polo der Besessene 1
befehlen, ins ferne Unbekannte zu ziehen, bloß um der Laune eines heidnischen Barbaren zu willfahren?«
»Kommt, kommt, Teo«, ließ der Prinz sich abermals vernehmen. »Ich glaube, wir haben mehr Priester in unserem Gefolge als kämpfende Ritter. Für einen so guten Zweck können wir doch zweifellos einige vo n ihnen entbehren.«
»Falls es wirklich ein guter Zweck ist, Euer Gnaden«, sagte der Archidiakon und funkelte uns an. »Vergeßt nicht, der Vorschlag kommt von Venezianern. Auch handelt es sich nicht um den ersten Vorschlag dieser Art. Vor einigen zwanzig Jahren sind die Mongolen schon einmal mit einem ähnlichen Ansinnen an uns herangetreten, damals direkt in Rom. Einer ihrer Khane -Kuyuk hieß er, ein Vetter dieses Kubilai -hat einen Brief an Papst Innozenz geschickt und gebeten -nein: befohlen -Seine Heiligkeit und sämtliche Herrscher des Westens sollten geschlossen zu ihm kommen, sich ihm unterwerfen und ihm huldigen. Selbstverständlich hat man das ignoriert. Doch da seht Ihr, was für Einladungen die Mongolen aussprechen, und wenn so etwas über einen venezianischen Mittelsmann kommt...«
»Verachtet unser Herkommen, wenn es Euch beliebt«, fiel mein Vater ihm immer noch gleichmütig in die Rede. »Gäbe es kein Fehl in der Welt, könnte es kein Verzeihen geben. Aber bitte, Ehrwürden, vertut nicht diese Gelegenheit, bloß weil Ihr uns verachtet. Der Khakhan Kubilai verlangt nicht anderes, als daß Eure Priester kommen und ihre Religion verkündigen. Ich habe das schriftliche Ersuchen des Khans dabei, geschrieben nach
dem Diktat des Khans von einem seiner Schreiber. Ehrwürden
sind imstande, Farsi zu lesen?«
»Nein«, sagte Visconti und stieß noch ein verzweifeltes
Schnauben aus. »Dazu bedarf es eines Dolmetschs.« Er zuckte
mit den schmalen Schultern. »Sehr wohl. Ziehen wir uns in
einen anderen Raum zurück; dort kann mir der Brief dann
vorgelesen werden. Wir brauchen die Zeit von Euer Gnaden
nicht zu verschwenden.«
So vertagten er und mein Vater ihre Besprechung. Prinz
Edward und Prinzessin Eleanor blieben noch etwas, um sich
mit mir und Onkel Mafio zu unterhalten, und es war, als wollten
sie uns damit für das schlechte Betragen des Archidiakons
entschädigen. Die Prinzessin sagte: »Könnt Ihr Farsi lesen,
junger Marco?«
»Nein, meine Dame -Eure Königliche Hoheit. Diese Sprache
wird mit den Krakeln des arabischen Alphabets geschrieben,
also in der Wurmschrift, und aus der werde ich nicht schlau.«
»Ob Ihr es lesen könnt oder nicht«, sagte der Prinz, »Ihr tätet
gut daran, Farsi sprechen zu lernen, wenn Ihr gen Osten zieht.
Farsi ist die Handelssprache, die man überall im Osten
versteht. Genauso wie Sabir im Mittelmeerraum.«
Die Prinzessin fragte meinen Onkel: »Und wohin zieht Ihr von
hier aus, Monsieur Polo?«
»Sofern wir die Priester bekommen, die wir haben möchten,
Königliche Hoheit, werden wir sie an den Hof des Khakhan
Kubilai bringen. Was bedeutet, daß wir irgendwie am
sarazenischen Binnenland vorbeikommen müssen.«
»Ach, die Priester solltet Ihr bekommen«, meinte Prinz Edward.
»Nonnen könntet Ihr wahrscheinlich auch haben, wenn Ihr
wolltet, Teo wird nur allzu froh sein, sie allesamt loszusein,
denn sie sind die Ursache seiner ganzen schlechten Laune.
Laßt Euch nicht durch sein Benehmen ins Bockshorn jagen.
Teo stammt aus Piacenza, folglich kann seine Haltung
gegenüber Venedig Euch kaum erstaunen. Außerdem ist er
aber ein gottesfürchtiger, frommer alter Herr und unbeugsam in
seiner Mißbilligung der Sünde. Infolgedessen ist er, selbst gut
gelaunt, immer noch eine Prüfung für uns gewöhnliche
Sterbliche.«
Ich sagte voller Ungeduld: »Ich hatte gehofft, mein Vater würde
ebenso schlechtgelaunte Widerworte geben.«
»Euer Vater ist vermutlich klüger, als Ihr es seid«, sagte
Prinzessin Eleanor. »Es geht das Gerücht, daß Teobaldo der
nächste Papst sein wird.«
»Was?« entfuhr es mir dermaßen überrascht, daß ich sogar
vergaß, sie mit dem ihr gebührenden Titel anzureden. »Aber er
hat doch gerade eben gesagt, er sei nicht einmal geweihter
Priester!«
»Er ist aber auch ein sehr alter Mann«, sagte sie. »Und das
scheint seine Hauptempfehlung für das höchste Amt zu sein. Im
Konklave ist es zu einem Stillstand gekommen, weil wie üblich
jede Gruppierung ihren Lieblingskandidaten hat. Die Laien
erheben ihre Stimme und wollen einen Papst haben.
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