Marco Polo der Besessene 1
verstehen.
Amüsiert und nachsichtig zugleich erklärten sie mir, die Entfernung der männlichen Vorhaut geschehe einzig zu dem Zweck, ihn als Muslim zu kennzeichnen -dabei zeigten sie auf ihr eigenes gestutztes Organ. Nur werde zwecks Wahrung des weiblichen Anstands in einer muslimischen Familie, die etwas auf sich halte, jedes weibliche Kind einer entsprechenden Operation unterzogen. Um das zu verdeutlichen: Es sei der Gipfel der Verunglimpfung, einen anderen Mann »Sohn einer unbeschnittenen Mutter« zu beschimpfen. Ich tappte immer noch im dunkeln.
»Toutes les bonnes femmes -tabzir de leurs zamburs«, wiederholten sie ein über das andere Mal. Und erklärten, tabzirwas immer das bedeuten mochte -werde jedes Mädchen, um es von seinem zambur zu befreien -was immer das wieder bedeuten mochte; infolgedessen sei sie, zu reifem Frauentum erblüht, frei von jedem unziemlichem Begehren und daher auch nicht geneigt, die Ehe zu brechen. So bleibe sie für immer keusch und über jeden Verdacht erhaben, wie es jede banne femmeim Islam sein sollte: ein passives Bündel ohne jeden anderen Daseinszweck, als in ihrer freudlosen Daseinsspanne so viel Kinder männlichen Geschlechts hervorzubringen wie möglich. Das war zweifellos ein empfehlenswertes Endergebnis, doch hatte ich immer noch nicht begriffen, was die Jungen mit ihrer Erklärung des tabzir, und was es bewirken sollte, meinten.
Ich wechselte daher das Thema und wandte mich einer anderen Frage zu. Angenommen, Ibrahim oder Daud oder Naser gelüste es nach Art junger Venezianer doch einmal nach einer Frau und nicht nach einem Mann oder einem Knaben und zwar nach einer Frau, die nicht zu Empfindungs-und Fühllosigkeit verdammt sei -, wie sie es dann wohl anstellten, eine solche zu finden?
Naser und Daud kicherten voller Verachtung. Ibrahim hingegen schob verächtlich nachfragend die Augenbrauen in die Höhe, reckte gleichzeitig den Zeigefinger und schob ihn auf und nieder.
»Ja«, sagte ich und nickte. »So eine Frau, wenn das die einzige
Art Frauen ist, in der noch so etwas wie Leben steckt.« Wiewohl in ihren Verständigungsmöglichkeiten beschränkt, machten die Jungen es mir doch nur allzu deutlich, wenn ich eine solche schändliche Frau finden wolle, müsse ich unter den in Acre lebenden Christinnen danach suchen. Nicht, daß ich dabei besonders angestrengt suchen müßte -sie wiesen mit den Fingern quer über den Marktplatz, auf dem wir uns gerade befanden.
Ärgerlich sagte ich: »Aber das ist ein Kloster, ein Haus voll mit
christlichen Nonnen.« Achselzuckend strichen sie sich über ihren noch nicht vorhandenen Bart und versicherten mir, sie hätten die Wahrheit gesprochen. Just in diesem Augenblick Öffnete sich die Klosterpforte, und ein Mann und eine Frau betraten den Platz. Bei dem Mann handelte es sich um einen Kreuzritter, der auf dem Umhang das Zeichen des Ordens von San Lazaro trug. Die Frau trug keinen Schleier, war also offenkundig keine Araberin, und trug den weißen Mantel und das braune Habit der Karmeliterinnen. Beide hatten gerötete Gesichter und waren offensichtlich vo m Weingenuß erregt.
Da selbstverstädlich, aber auch da erst, fiel mir ein, schon einmal von den »skandalösen« Karmeliterinnen und Ciarissen gehört zu haben. Damals hatte ich in meiner Unwissenheit angenommen, die Rede sei von Damen eben dieses Namens gewesen. Jetzt jedoch ging mir auf, daß die frommen Schwestern vom Berge Karmel und die Minoritinnen gemeint gewesen waren, die Angehörigen des weiblichen Zweigs der Franziskaner, die nach der Schwester des heiligen Franz, Klara, Ciarissen genannt wurden.
Ich hatte das Gefühl, in den Augen von drei ungläubigen Jungen mit Schande übergössen worden zu sein, und verabschiedete mich daher kurz angebunden von ihnen. Woraufhin sie ein großes Geschrei erhoben und mir durch eindringliche Gesten zu verstehen gaben, ich solle mich ihnen doch bald wieder anschließen - und dann würden sie mir etwas wirklich Staunenswertes zeige. Ich legte mich mit meiner Antwort in keiner Weise fest und suchte mir durch die Straßen und Gassen den Weg zurück zum khane.
Dort traf ich gleichzeitig mit meinem Vater ein, der von seiner Unterredung mit dem Archidiakon in der Burg zurückkam. Als wir auf unsere Kammer zugingen, trat ein junger Mann heraus, der hamam-Reiber, der bei unserer Ankunft im khane Onkel Mafio bearbeitet hatte. Strahlend lächelte er uns an und grüßte: »Salaam aleikum«, woraufhin mein Vater, wie es sich gehörte,
Weitere Kostenlose Bücher