Marco Polo der Besessene 1
Bischof mitnehmen. Es tut mir leid, daß sich nur so wenige gemeldet haben, aber ich kann nicht guten Gewissens
andere zwingen oder per Befehl ausschicken. Habt Ihr sonst noch Klagen?« Mein Vater zauderte, doch mein Onkel faßte allen Mut
zusammen und sagte: »Ja, Hochwürden. Die Fratres geben zu, daß sie nicht aus Berufung mitwollen. Sie sollen nur fort aus
dieser liederlichen Stadt.« »Nicht anders als der heilige Paulus«, sagte der Archidiakon trocken. »Ich darf Euch auf die Apostelgeschichten verweisen. Damals hieß diese Stadt Ptolomais, und Paulus ist einmal hier gewesen; aber offensichtlich konnte auch er den Ort nicht
länger als einen Tag ertragen.«
Was Prinzessin Eleanor mit einem aus vollem Herzen
kommenden »Amen!« bekräftigte, während Prinz Edward
verständnisvoll gluckste. »Ihr habt die Wahl«, sagte Visconti zu uns. »Ihr könnt andernorts anfragen, oder Ihr könnt die Wahl des Papstes abwarten und Euch an ihn wenden. Oder aber Ihr nehmt die
Dienste dieser beiden Dominikanerbrüder an. Sie haben erklärt, sie seien bereit und willens, gleich morgen aufzubrechen.« »Selbstverständlich nehmen wir sie an, Hochwürden«, sagte
mein Vater. »Und wir danken Euch für Euren Einsatz.« »Nun ja«, sagte Prinz Edward, »Ihr müßt hinter das
Sarazenenland, wenn Ihr nach Osten wollt. Und da gibt es eine Route, die ist die beste.« »Wir wären Euch sehr verbunden, wenn Ihr sie uns verraten
würdet«, sagte Onkel Mafio. Er hatte in weiser Voraussicht schon den Kitab des al-Idrisi mitgebracht und schlug diesen auf dem Blatt auf, auf dem Acre und Umgebung eingezeichnet waren.
»Eine gute Karte«, sagte der Prinz anerkennend. »Dann schaut her. Um von hier aus gen Westen zu ziehen, müßt Ihr Euch erst nach Norden wenden, um die Mamelucken im Landesinneren zu umgehen.« Wie jeder andere Christ hielt der Prinz die Blätter umgekehrt vor sich hin, damit der Norden nach oben weise. »Aber die Haupthäfen weiter nördlich: Beirut, Tripoli, Latakia...«
- er tippte auf die vergoldeten Punkte auf der Karte, welche diese Seehäfen darstellten -»werden schwer belagert, falls sie nicht ohnehin schon in die Hände der Sarazenen gefallen sind. Ihr müßt -laßt mich nachrechnen -die Küste entlang über zweihundert englische Meilen nach Norden ziehen. Bis zu diesem Ort in Klein-Armenien.« Damit zeigte er auf einen Flecken auf der Karte, der offenbar nicht verdient hatte, vergoldet zu werden. »Dorthin, wo der Orontes sich ins Meer ergießt, liegt der alte Hafen Suvediye. Die Bewohner sind christliche Armenier und friedliebende Avedi-Araber. Bis jetzt sind die Mamelucken noch nicht bis dorthin vorgedrungen.«
»Suvediye war im römischen Reich ein bedeutender Hafen und hieß damals Selucia«, sagte der Archidiakon. »Seither hat er den Namen Ayas und Ajazzo und noch viele andere Namen mehr erhalten. Selbstverständlich werdet Ihr auf dem Seeweg nach Suvediye gelangen und nicht an Land die Küste hinauf ziehen.«
»Ja«, sagte der Prinz. »Morgen mit der Abendtide läuft ein englisches Schiff nach Zypern aus. Ich werde den Kapitän anweisen, unterwegs in Suvediye anzulegen und Euch und Eure Mönche mitzunehmen. Ich werde Euch ein Schreiben an den Ostikan, den Gouverneur von Suvediye, mitgeben; von dort gelangt Ihr durch den Flußeinschnitt - hier -nach Osten an den Euphrat. Auf dem Fluß weiterzukommen nach Baghdad sollte nicht schwierig sein. Und von Baghdad aus führen mehrere Wege weiter nach Osten.«
Mein Vater und mein Onkel blieben noch so lange in der Burg, bis der Prinz den Schutzbrief ausstellte. Mir jedoch gestatteten sie, mich von Hochwürden und von den Königlichen Hoheiten zu verabschieden, damit ich hinausgehen und den letzten Tag in Acre so verbringen konnte, wie ich wollte. Ich sah zwar weder den Archidiakon noch den Prinzen wieder, wohl aber hörte ich von ihnen. Mein Vater, mein Onkel und ich hatten die Levante noch nicht lange verlassen, da erfuhren wir, der Archidiakon Visconti sei zum Papst der Kirche in Rom gewählt worden und habe den Namen Gregor X. angenommen. Etwa um die gleiche Zeit gab Prinz Edward den Kreuzzug auf, da er ihn für eine verlorene Sache hielt, und segelte heim. Er war kaum bis Sizilien gekommen, da erreichte auch ihn eine Nachricht: daß sein Vater gestorben und er damit König von England sei. So hatte ich, ohne es zu ahnen, die Bekanntschaft von zwei der höchsten Würdenträger in ganz Europa gemacht.
Freilich habe ich mich nie sonderlich in
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