Marco Polo der Besessene 2
Die Männer tragen das Haar wie die Frauen lang und zu Zöpfen geflochten; manchmal rasieren sie sich aber auch den Scheitel, daß es aussieht wie eine Mönchstonsur. Die Frauen türmen das Haar umständlich hoch auf dem Kopf - und vielleicht tun sie das überhaupt nur einmal im Leben, denn sie lackieren es mit dem Saft des wutung-Baums, damit es nicht herunterfällt. Oben auf diese hochgetürmte Frisur kommt noch ein hoher, gugu genannter Hut, ein Gebilde aus Baumrinde, geschmückt mit farbigen Filzstückchen und Bändern. Die mit Hilfe von Lack gefestigte Haartracht samt gugu läßt eine Frau gute zwei Fuß größer erscheinen als einen Mann; sie sind damit so lästig groß, daß sie eine yurtu nur mit gesenktem Kopf betreten können.
Dieweil ich mit meinen Gastgebern plauderte, kam die Frau der yurtu mehrere Male herein und ging wieder hinaus; dabei mußte sie sich jedesmal tief bücken. Mit einer Kniebeuge hatte das jedoch nichts zu tun; sie zeigte auch sonst keine Anzeichen von Unterwürfigkeit, sondern ging nur ihrer Arbeit nach, holte Krüge mit frischem kumis und arkhi für uns, nahm die geleerten mit hinaus und war auch sonst auf unser Wohlergehen bedacht. Der Mann, der ihr Ehegatte war, redete sie mit Nai an, was einfach Frau heißt, aber die anderen Männer sagten höflich Sain Nai. Es interessierte mich zu sehen, daß eine ›Gute Frau‹ zwar arbeiten kann wie eine Sklavin, sich sonst aber keineswegs verhielt wie eine solche und auch nicht so behandelt wurde. Mongolinnen brauchen nicht wie muslemische Frauen das Gesicht hinter einem chador zu verbergen, ihr ganzes Leben in pardah zubringen oder irgendeine der anderen Demütigungen zu erdulden, die der Islam für die Frauen bereithält. Man erwartet von ihr, daß sie keusch ist, zumindest nach der Hochzeit, doch gibt sich niemand entsetzt, wenn sie sich unzüchtiger Ausdrücke bedient oder bei schlüpfrigen Geschichten lacht -oder eine solche sogar erzählte, was diese Sain Nai tat.
Sie hatte unaufgefordert eine Mahlzeit auf den Filzteppich in der Mitte des Rundzelts gesetzt und sich sodann -gleichfalls unaufgefordert -hingehockt, um mit uns zu essen; es wurde ihr auch nicht verboten, was mich überraschte und genauso entzückte wie das Essen selbst. Sie hatte eine Art mongolischer Version der venezianischen scaldavi-vande aufgetragen: eine Terrine mit siedendheißer Fleischbrühe, eine kleinere Schüssel mit einer rotbraunen Sauce und eine Platte in Streifen geschnittenen Lammfleisches. Wir alle wechselten uns ab, kleine Stücke Fleisch in die kochendheiße Brühe zu halten, es unserem Geschmack entsprechend darin garen zu lassen, um es sodann in die pikante Sauce zu tunken und zu essen. Die Sain Nai hielt ihr Fleisch genauso wie die Männer praktisch gerade nur lange genug hinein, um es zu erwärmen, und aß es dann nahezu roh. Alle Zweifel daran, daß mongolische Frauen vielleicht doch nicht so robust wären wie ihre Männern verflogen, als ich Zeuge wurde, wie diese an den Fleischbatzen herumriß, wobei ihre Hände und Zähne und Lippen sich blutig färbten. Ein Unterschied: Die Männer aßen, ohne sich dabei zu unterhalten, und lenkten ihre ganze Aufmerksamkeit auf das Essen; die Frau hingegen erwies sich, wenn sie nicht gerade aß, als äußerst gesprächig.
Soweit ich es mitbekam, machte sie sich über die neueste Frau lustig, die ihr Mann sich zugelegt hatte. (Was die Anzahl der Frauen betrifft, die ein Mongole sich nehmen konnte, gab es keinerlei Einschränkungen, solang er es sich leisten konnte, eine jede in einer eigenen yurtu unterzubringen.) Bissig bemerkte sie, ihr Mann müsse sinnlos betrunken gewesen sein, als er seine Neueste um die Hand gebeten habe. Sämtliche Männer, der eigene Ehemann inbegriffen, glucksten vor Vergnügen, und kicherten und feixten, als sie offenbar in saftig-derber Form Mängel und Fehler der neuen Frau aufzählte. Als sie dann noch meinte, die neue Frau schla ge ihr Wasser wohl im Stehen ab wie ein Mann, hielten sie sich den Bauch vor Lachen und kugelten sich.
Das war zwar nicht das Komischste, was ich je gehört hatte, bewies aber deutlich, daß die Mongolinnen eine Freiheit genießen, die fast allen anderen Frauen im Orient versagt ist. Bis auf ihr hausbackenes Aussehen sind sie mehr wie venezianische Frauen: lustig und lebendig, weil sie wissen, daß sie ihren Männern ebenbürtige Kameradinnen sind, die nur andere Funktionen und Verantwortungen im Leben haben.
Die Mongolen liegen nicht einfach auf der
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