Marco Polo der Besessene 2
das ist mir nicht gelungen. Ich wußte, daß es zu den azghun und den Lichterscheinungen nur dann kam, wenn ein buran vorübergezogen war, und ein buran war nichts weiter als eine Fülle von windgetriebenem trockenem Sand. Ich zerbrach mir den Kopf darüber, ob dabei entstehende Reibung etwas damit zu tun hatte, was geschah, wenn man einer Katze übers Fell fuhr. Nur hatten die Sandkörner draußen in der Wüste nichts, woran sie sich hätten reiben können, höchstens aneinander…
Von diesem Geheimnis genarrt, wandte ich mich einem kleineren, dafür aber lösbaren zu. Warum redeten Ussu und Donduk, die doch unsere Namen kannten und keinerlei Schwierigkeiten hatten, ihn auszusprechen, uns Polo unterschiedslos immer mit Ferenghi an? Ussu sprach dieses Wort in durchaus freundschaftlichem Ton aus; er schien es zu genießen, mit uns zu reisen; offenbar war das eine Abwechslung nach der Langeweile des Garnisonsdienstes in Kaidus bok. Donduk hingegen sprach es stets mit Abscheu aus; für ihn hatte seine Aufgabe offenbar etwas von Kindermädchenpflichten, die unwürdigen Personen zuteil wurden. Ussu mochte ich ganz gern, Donduk hingegen nicht, doch da sie stets zusammen waren, fragte ich sie beide: warum Ferenghi?
»Weil Ihr ein Ferenghi seid«, erklärte Ussu. Für ihn war das offensichtlich eine unsinnige Frage.
»Aber du nennst doch auch meinen Vater Ferenghi. Und meinen Onkel desgleichen.«
»Beide sind doch auch Ferenghi«, sagte Ussu.
»Aber Nasenloch ne nnt ihr Nasenloch. Liegt das daran, daß er ein Sklave ist?«
»Nein«, sagte Donduk ärgerlich. »Weil er kein Ferenghi ist.«
»Ältere Brüder« -ich ließ nicht locker -»ich versuche dahinterzukommen, was Ferenghi bedeutet.«
»Ferenghi heißt nichts anderes als Ferenghi«, versetzte Donduk bissig, warf entsetzt die Hände in die Höhe, und ich tat desgleichen.
Irgendwann jedoch kam ich doch dahinter, was es mit diesem Geheimnis auf sich hatte: Ferenghi -das war nur ihre Art, das Wort Franken auszusprechen. Irgendwann muß ihr Volk einmal erlebt haben, wie Abendländer sich vor acht Jahrhunderten Franken nannten, zur Zeit des Fränkischen Reiches, da einige von den Ahnen der Mongolen, die sich damals Bulgaren oder Hiung-nu - oder Hunnen - nannten, ins Abendland einfielen und den Ländern Bulgarien und Ungarn den Namen gaben. Seit jener Zeit haben die Mongolen alle weißen Abendländer stets als Ferenghi bezeichnet, gleich welchem Volk sie angehörten. Nun, das war nicht weniger ungenau als alle Mongolen Mongolen zu nennen, obwohl sie doch sehr verschiedener Herkunft waren.
Ussu und Donduk erzählten mir zum Beispiel, wie ihre mongolischen Vettern, die Kirgisen, entstanden seien. Der Name leite sich von den mongolischen Wörtern kirk kiz ab, was »Vierzig Jungfrauen« heiße. Irgendwann in grauer Vorzeit habe es einmal diesen Ort mit ebendiesen vielen Jungfrauen gegeben, so merkwürdig uns Heutigen dies auch vorkommen möge; und alle vierzig seien von dem Schaum geschwängert worden, der von einem verzauberten See herübergeweht gekommen sei; von der darauffolgenden Massengeburt stammten alle Menschen ab, die jetzt Kirgisen genannt würden. Das war zwar interessant, doch etwas anderes, das Ussu und Donduk mir über die Kirgisen erzählten, fand ich noch viel interessanter. Sie sollten nämlich im ewigen Schnee und Eis Sibirs leben, weit nördlich Kithais; zwangsläufig hätten sie zwei höchst sinnreiche Methoden erfunden, sich in diesen harschen Landen zu bewegen. An die Sohlen ihrer Stiefel schnallten sie glattgeschliffene Knochen, auf denen man schnell über gefrorene Eisflächen hinflitzen könne. Oder aber sie schnallten sich auf ähnliche Weise lange Bretter wie Faßdauben darunter, mit denen sie flink über den Schnee dahingleiten und sehr weit kommen könnten.
Ausgerechnet das nächste Bauerndorf, in das wir kamen, war von noch einem anderen Mongolenstamm bewohnt. Etliche Gemeinwesen an diesem Abschnitt der Seidenstraße wurden von Uighurs bewohnt, also mit den Mongolen »verbündeten« Völkern, andere hinwieder von Han; darüber hatten Ussu und Donduk weiter nichts gesagt. Doch als wir in dies bestimmte Dorf kamen, sagten sie uns, die Bewohner seien mongolische Kalmücken, und diesen Namen spieen sie förmlich aus: »Kalmücken! Vakh!« -wobei vakh ein Laut ist, mit dem die Mongolen reinen Abscheu ausdrücken, und abstoßend waren diese Kalmücken, das mußte man schon sagen. Es waren die verdrecktesten Menschen, die ich je außerhalb Indiens
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