Marco Polo der Besessene 2
Möglichkeit, das, was für sie eine langweilige Reise war, ein bißchen aufzulockern.
Einmal, als wir abends unser Lager am Wegesrand aufschlugen, statt weiterzureiten, bis wir eine karwansarai fanden, kauften Ussu und Donduk einigen Viehtreibern, die in der Nähe lagerten, eines ihrer Fettschwanzschafe und etwas teigigen Schafskäse ab. (Ich sollte vermutlich sagen, daß sie diese Dinge beschafften, denn ich bezweifle, daß sie den Han-Hirten je etwas bezahlten.) Donduk schlang sich die Kriegsaxt vom Rücken, schlug mit einem Hieb das Schwanzschleppgeschirr durch und mit fast derselben Bewegung dem Tier auch den Kopf ab. Dann sprangen er und sein Gefährte in den Sattel, einer von ihnen beugte sich hinunter und riß am keulenförmigen Schwanz das noch zuckende und Blut spritzende Tier in die Höhe, und dann spielten sie fröhlich und in gestrecktem Galopp bous-kashia. Mit donnernden Hufen rasten sie zwischen unserem Lager und dem der Schafhirten hin und her, rissen sich gegenseitig die Trophäe -das tote Tier - aus der Hand, schwangen es hin und her, ließen es des öfteren fallen und rasten darüber hinweg. Wer von ihnen das Spiel gewann oder wie das entschieden wurde, weiß ich nicht, aber endlich waren sie erschöpft und warfen uns den schlaffen, blutverschmierten Kadaver mit dem Dreck und dem Laub im Fell vor die Füße.
»Das Essen für heute abend«, sagte Ussu. »Gut und zart jetzt, uu?« Mich überraschte nicht wenig, daß er und Donduk sich an diesem Abend von sich aus erboten, dem Tier das Fell abzuziehen, es zu zerlegen und zu kochen. Offenbar haben die Mongolen nichts dagegen, Frauenarbeit zu übernehmen, wenn keine Frauen da waren, sie zu verrichten. Das Essen, das sie bereiteten, war etwas, das man nicht so leicht vergaß, nur schmecken tat es nicht. Das ganze begann damit, daß sie den abgeschlagenen Kopf des Tieres suchten, der genauso wie der Rest des Schafes am Spieß gedreht und überm Feuer gebraten wurde. Ein ganzes Schaf hätte ausreichen sollen, mehrere Familien von großen Essern sich den Bauch vollschlagen zu lassen, doch Ussu, Donduk und Nasenloch vertilgten, ohne größere Mithilfe von uns dreien, von der Nase bis zum Fettschwanz das ganze Tier. Zuzusehen und zuzuhören, wie sie den Kopf abnagten, war wirklich nicht besonders appetitanregend. Einer von den Feinschmeckern säbelte sich eine Backe davon ab, ein anderer ein Ohr, dann eine Lippe, und diese schrecklichen Stücke tunkten sie in eine Schale pfefferigen Fleischsafts und kauten und schlürften und schmatzten und schluckten und rülpsten und furzten. Da es unter Mongolen als schlechtes Benehmen gilt, sich beim Essen zu unterhalten, änderte sich an der Abfolge von Geräuschen, die als gutes Benehmen galten, nichts, bis sie schließlich an die Röhrenknochen herankamen, woraufhin noch das Geräusch des Markaussaugens hinzukam.
Wir Polo aßen nur von dem Fleisch, das wir von den Lenden des Tieres abschnitten -es war durch die bous-kashia gut durchgewalkt und zugegebenermaßen sehr zart. Das heißt, wir wären froh gewesen, nur dies zu essen, doch Ussu und Donduk säbelten unablässig neue Leckerbissen ab und waren nicht davon abzubringen, sie uns aufzunötigen: Stücke vom Schwanz, im Grunde nichts anderes als Batzen weißgelben Fettes. Diese wabbelten ekelerregend und troffen dermaßen, daß sie uns ständig aus den Fingern rutschten, doch aus Gründen der Höflichkeit konnten wir sie nicht ablehnen; irgendwie brachten wir es daher fertig, sie hinunterzuwürgen, und ich meine noch heute zu spüren, wie mir dieser widerliche Glibber schleimig die Speiseröhre hinunterrutschte. Nach dem ersten schrecklichen Mundvoll wollte ich mir frohgemut mit einem Schluck cha den Mund ausspülen -doch dabei wäre ich ums Haar erstickt. Zu spät entdeckte ich, daß Ussu die cha-Blätter zwar mit sprudelndem Wasser überbrüht, doch es damit nicht hatte gut sein lassen, wie jeder zivilisierte Koch es getan hätte, sondern Batzen Hammelfett und Schafskäse sich darin hatte auflösen lassen. Dieser Mongolen-cha wäre vermutlich eine vollständige Mahlzeit für sich gewesen -ich jedoch muß sagen, daß er nicht anders als ekelerregend genannt werden kann.
Wir nahmen auf der Seidenstraße aber auch Mahlzeiten ein, an die ich mich lieber erinnere. Wo wir jetzt so tief in Kithai waren, beschränkten sich die Herbergswirte, die ja entweder Han oder Uighur waren, nicht mehr auf die wenigen Dinge, die Muslims essen dürfen, und so gab es von nun an eine
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