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Marco Polo der Besessene 2

Marco Polo der Besessene 2

Titel: Marco Polo der Besessene 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Worten breitete er die Arme aus, legte sie mir und Nasenloch um die Schultern und drückte uns herzlich an sich.
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    Wir waren nunmehr so weit durch die Welt gekommen und befanden uns in so wenig bekannten Ländern, daß unser Kitab uns in gar keiner Weise mehr von Nutzen war. Es lag auf der Hand, daß der Kartograph al-Idrisi nie bis in diese Regionen vorgedrungen und offenbar auch niemand begegnet war, der dies getan hatte und den er nach Informationen hätte ausfragen können. Auf seinen Karten war der östliche Rand Asiens viel zu früh und unvermittelt eingezeichnet worden -und zwar an dem großen Ozean, der Kithai-Meer genannt wurde. Infolgedessen riefen die Karten den falschen Eindruck hervor, Kashgar sei von unserem Ziel, Kubilais Hauptstadt Khanbalik -die selbst ein tüchtiges Stück vom Meer entfernt liegt -, nicht besonders weit entfernt. Dabei waren - wie mein Vater und Onkel mir warnend klarmachten und was ich ziemlich brummig zur Kenntnis nahm
    -Kashgar und Khanbalik durch einen ganzen Kontinent voneinander getrennt -oder genauer: durch einen halben Kontinent, der allerdings unendlich viel größer war, als al-Idrisi angenommen hatte. Wir Reisenden hatten ungefähr noch einmal die gleiche Strecke vor uns, die wir bereits hinter uns gebracht hatten, von Suvediye an der Levanteküste des Mittelmeers an gerechnet. Entfernungen sind Entfernungen, gleichgültig, ob sie in Schritten gerechnet werden oder nach den Tagen, die man hoch zu Roß benötigt, um sie zurückzulegen. Gleichwohl hörte sich von nun an jede Entfernungsangabe länger an als anderswo, weil sie nicht in farsakhs gemacht wurde, sondern in li. Ein farsakh entspricht etwa zweieinhalb westlichen Meilen und war eine Erfindung der Perser und der Araber; diese waren von jeher große Reisende gewesen und es daher gewohnt, in großen Entfernungen zu denken. Der li jedoch, der nur etwa dem dritten Teil einer Meile entspricht, ist eine Erfindung der Han, und die Han sind nun einmal Menschen, die es eher mit der Devise halten, bleibe im Lande und nähre dich redlich. Der Durchschnitts-Han vom Lande entfernt sich vermutlich nie weiter als wenige li von dem Bauerndorf, in dem er zur Welt gekommen ist. Deshalb ist für ihn eine Drittelmeile vermutlich eine große Entfernung. Doch wie dem auch sei -als wir Polo Kashgar verließen, war ich es immer noch gewohnt, in farsakhs zu denken und zu rechnen; infolgedessen stürzte es mich nicht gerade in große Verzweiflung, mir zu sagen, daß wir bis Khanbalik nur noch rund acht-oder neunhundert farsakhs zurückzulegen hätten. Als ich mich jedoch allmählich daran gewöhnte, in li zu rechnen, kam mir manche Zahl schon erschreckend vor: rund sechstausendundsiebenhundert li von Kashgar bis Khanbalik. Hatte ich die unendliche Größe des Mongolen-Reiches noch nicht richtig eingeschätzt, so tat ich das jetzt bestimmt, wenn ich darüber nachdachte, wie riesig allein das Kernland dieses Reiches, Kithai, ist.
    Mit unserer Abreise aus Kashgar waren zwei Zeremonien verbunden. Unsere mongolische Eskorte bestand darauf, daß unsere Pferde -inzwischen sechs Reittiere und drei Packpferde zum Schutz gegen die azghun unterwegs einem gewissen Ritual unterzogen werden müßten. Azghun bedeutet »Wüsten-Stimmen«, und so nahm ich an, daß es sich um eine Art Kobolde handeln müsse, welche die Wildnis heimsuchten. Die beiden Mongolen brachten aus ihrem bok einen Mann herbei, den sie shamàn nannten - für ihre Begriffe ein Priester, und für unsere wohl mehr ein Zauberer. Der wilde Blicke schleudernde und mit Farbe bemalte shamàn, der eher selber so aussah wie ein Kobold, murmelte ein paar beschwörende Worte, sprengte ein paar Tropfen Blut auf die Köpfe unserer Pferde und erklärte dann, nun seien sie gegen die azghun gefeit. Er erbot sich, uns Ungläubigen denselben Dienst angedeihen zu lassen, doch lehnten wir das höflich mit dem Hinweis ab, wir hätten selbst einen Priester dabei.
    Die andere Zeremonie war die Begleichung unserer Rechnung bei unserem Herbergswirt, und das erforderte mehr Zeit und ergab mehr Aufregung als die Zauberei. Mein Vater und mein Onkel erklärten sich nicht einfach einverstanden, die Rechnung des Wirts zu bezahlen, sondern feilschten mit ihm über jeden einzelnen Posten. Und in der Rechnungslegung tauchte denn auch jeder einzelne Umstand auf, der mit unserem Aufenthalt hier verbunden gewesen war: der Raum, den wir in der karawansarai beansprucht hatten, der, den unsere Tiere in den Stallungen

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