Marcos Verlangen
herkam, war sicher lange nicht gelüftet worden und sie rümpfte leicht die Nase.
„Der Zustand lässt allerdings zu wünschen übrig“, versetzte sie skeptisch. „Woher haben Sie das überhaupt?“
„Ach, das war der übliche Glücksfall von Nachlass ohne Erben. Eine Wohnungsauflösung wie viele andere auch, nur dass diesmal das hier aufgetaucht ist.“
„So etwas habe ich wahrscheinlich in meinem ganzen Leben noch nicht zu Gesicht bekommen“, gestand sie, „es ist wirklich einzigartig! Man möchte sie anfassen und prüfen, ob sie echt ist!“
Ihre Verblüffung war berechtigt. Er seufzte leise, aber vernehmlich.
„Ich gäbe was drum, noch einen oder zwei davon irgendwo aufzuspüren, aber es ist unheimlich schwierig.“
„Warum eigentlich?“
„Er malt nicht mehr. Hat einfach aufgehört. Keiner weiß warum und keiner konnte ihn bisher zum Weitermachen überreden.“
„Tatsächlich nicht? Hat man ihm denn schon genug Geld als Anreiz dafür geboten?“
Nun wandte Barone sich zu ihr um und schüttelte das bärtige, graue Haupt. Es fiel ihm schwer, den Blick von dem Bild loszureißen, aber Ellas Anblick entschädigte ihn immerhin dafür.
„Ah, man sieht, dass Sie nicht aus der Branche sind. Das hier hat nichts mit Geld zu tun. Er ist ein Künstler, ein Sonderling, ein Querkopf. Den ködert man nicht einfach so mit Geld, daraus macht er sich erstens nichts und zweitens munkelt man, er hätte selber genug.“
Sie verzog keine Miene. In der Welt, die sie kannte, war mit Geld alles zu regeln. Wenn es nur genug war.
„Außerdem, um das Ganze noch zu erschweren, ist er einfach abgetaucht“, fuhr er in seiner Schilderung fort, „es hat ihn ja sowieso noch nie jemand zu Gesicht bekommen und ich wüsste niemanden, der seinen Aufenthaltsort oder seine Identität kennt.“
Sie sah ihn ungläubig an.
„Das ist ja bizarr. Wie faszinierend - ist denn wenigstens sicher, dass er noch lebt?“
„Gute Frage. Weiß ich leider auch nicht.“
Sie überlegte einen Moment, doch dann wurden sie unterbrochen. Die Tür zur Galerie öffnete sich schwungvoll und Marco Mingoni trat ein wie ein Sommersturm.
„Wo ist er?“
Mit eiligen, langen Schritten stürmte er auf die beiden zu.
„Sie haben einen Dante aufgespürt? – Hallo, mein Engel!“
Er küsste sie mit der ihm eigenen, besitzergreifenden Art und blieb neben ihr, ein paar Schritte vor dem Gemälde, stehen, um die Wirkung des Anblicks zu genießen. Sein Gesicht bekam einen verzückten Ausdruck.
„Was sagen Sie, professore?“
„Fabelhaft, einfach unglaublich! Ich muss es unbedingt haben, egal, was Sie dafür verlangen, nur dass das schon mal klar ist.“
„Es muss nur vorher noch gereinigt und restauriert werden.“
„Logisch.“
Dann wandte er sich an sie.
„Wie findest du es, Ella?“
„Überwältigend!“
„Stimmt. Du stehst hier vor einem absoluten Meisterwerk der Malerei. Schade, dass nicht du es gefunden hast!“ Nun schüttelte auch er den Kopf. „Wofür bezahle ich dich denn eigentlich?“
„Tja, weißt du, Marco, ich bin eben immer noch ein blutiger Anfänger. Du hättest mir wohl anstelle des Diamantrings lieber einen Gutschein schenken sollen.“
„Einen Gutschein?“ Mingoni streifte sie mit einem irritierten Blick. „Wofür?“
Sie lachte ihm ins Gesicht. „Eine Ausbildung zur Privatdetektivin! Oder hast du etwa was zu verbergen?“
Barone wandte sich peinlich berührt ein wenig ab. Die spritzige Antwort gefiel ihm zwar, aber er kannte seinen besten Kunden nun auch schon gut genug um zu wissen, dass er solche Bemerkungen in Gegenwart Dritter wenig schätzte. Diesmal aber schien Marco Mingoni eine Ausnahme zu machen.
„Aber Ella! Ich glaube eher, es hätte ein größerer Ring sein sollen. Als größere zusätzliche Motivation sozusagen.“
Er war offensichtlich mit den Gedanken woanders. Ungerührt konzentrierten sie sich beide wieder auf das Gemälde. Ella stellte sich hinter ihn und lehnte ihr Kinn auf seine Schulter. Im Angesicht der nackten Schönheit schien sie kaum Chancen zu haben, seine Aufmerksamkeit so schnell wiederzugewinnen. Und das lag definitiv nicht an ihrem Aussehen, denn mit dem Modell dort auf der Leinwand konnte sie wahrscheinlich durchaus mithalten. Der gemalte Körper war nämlich keineswegs perfekt, im Gegenteil. Die Proportionen stimmten zwar, aber sie hatte einen üppigen Busen und relativ breite Hüften. Nur war das alles auf eine Art und Weise dargestellt, dass es einem unvorbereiteten
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