Marcos Verlangen
leeren Teller und trug sie in die Küche. Kurz darauf kam sie mit zwei caffè zurück und nach ein paar weiteren, wortlosen Augenblicken beschloss sie, das Thema zu wechseln und ihr eigentliches Anliegen ein wenig voranzutreiben.
„Angelo, du hast doch früher in Venedig in einer Bar gearbeitet, oder nicht? Während deines Studiums – stimmt das?“
„Stimmt tatsächlich.“ Er wandte den Kopf und bedachte sie mit einem forschenden Blick. „Wie kommst du darauf?“
Sie lachte leise. „Ich war dort.“
„Ach ja?“
„Ja. Ich habe in dieser Bar einen caffè getrunken und bin dabei auf deine Flyer mit diesem Kurs hier gestoßen. Und ich fand den Zufall einfach umwerfend, dass ausgerechnet hier bei meiner Tante so etwas Interessantes stattfindet und ich absolut nichts davon weiß.“
Nun lachte er. „Das ist tatsächlich ein merkwürdiges Zusammentreffen! – Ja, ich habe dort gearbeitet, das ist aber schon sehr lange her. Das war eine schöne Zeit!“
Er schwieg einen Weile und schien in Erinnerungen zu versinken.
„Hast du dabei auch Dante kennengelernt?“, platzte sie endlich spontan heraus, als ihr sein Schweigen zu lange dauerte.
Er wandte langsam den Kopf zu ihr herum, anscheinend noch ganz in seinen Gedanken versunken. Sein Blick war fern und abwesend.
„Wen?“
„Dante! Den Maler, den niemand je gesehen hat außer seinem Galeristen! Du musst dich doch noch an die Galerie erinnern, die damals gegenüber der Bar lag.“
Er schien zu überlegen.
„Ja“, meinte er dann zögernd, „ich erinnere mich. Da war tatsächlich eine Galerie, aber der habe ich damals wenig Beachtung geschenkt. Ich war viel zu beschäftigt mit mir und meinen Vorlesungen.“
Ella bedachte ihn mit einem zweifelnden Seitenblick. „Du hast Kunst studiert, hattest eine Galerie vor der Nase und hast nicht versucht, daraus etwas zu machen?“
„Ich war eben damals noch nicht so weit“, wiegelte er unbeholfen ab.
„Na, macht ja nichts“, beschwichtigte sie ihn nun. „Darum geht es ja auch gar nicht. Ich wollte einfach nur herausfinden, wer sich dahinter verborgen hielt, und da dachte ich, du könntest ihm vielleicht persönlich begegnet sein.“
„Was interessiert dich bloß daran?“ Brüsk stand er auf und griff nach ihrer leeren Tasse. „Das war doch auch nur so ein Spinner, der auf einer günstigen Welle mitgeritten ist und ein paar unbedarfte Sammler abgezockt hat.“ Er wandte sich ab, um hineinzugehen.
„Meinst du?“ Ella war noch nicht bereit, einfach aufzugeben. „Demnach hast du ihn also gekannt!“
Angelo blieb noch einmal stehen. Dann drehte er sich langsam zu Ella um.
„Ja, ich hab ihn gekannt.“
Sie hielt unwillkürlich die Luft an.
„Und? Wer ist es? Was weißt du über ihn? Nun rede schon und lass mich nicht so zappeln.“
„Was zum Henker interessiert dich so an diesem Typen? Was kommst du jetzt nach all diesen Jahren daher und fragst nach diesen uralten Geschichten?“
Ella zuckte unbestimmt die Schultern. „Ehrlich gesagt – ich weiß es auch nicht so genau. Aber ich habe vor kurzem ein Bild von ihm gesehen und das war so…“, sie verstummte und sah verträumt vor sich hin. „Das war so… so perfekt, so erstaunlich, so unbeschreiblich schön, dass es mir beinahe die Füße weggezogen hat! Und dann auch noch zu erfahren, dass kein Mensch irgendetwas über diesen geheimnisvollen Maler weiß, dass er einfach ein Phantom ist – das hat mich dann vollends fasziniert!“
Sie räusperte sich verlegen.
„Tut mir leid, Angelo, ich wollte dir nicht auf die Nerven fallen damit.“ Sie holte tief Luft und stand nun ebenfalls auf. „Ich hätte nur einfach irgendwie gerne mehr über diesen Menschen erfahren. Und vielleicht auch noch ein weiteres Bild von ihm gefunden. Aber lassen wir das, es ist spät geworden. Bringst du die Tassen rein?“
Sie sah ihn schweigend nicken, doch er machte noch keine Anstalten, sich vom Fleck zu rühren. Dann schien er sich entschieden zu haben.
„Ja, ich habe ihn gesehen“, wiederholte er, „und du hast nichts verpasst, wenn du ihn nicht kennst. Ich fand ihn fürchterlich. Ein ungehobelter, unreifer Unsympath, der vollkommen von sich eingenommen war und sich selber für den Nabel der Welt hielt. Er dachte, er sei der einzige, der malen könne. Ich konnte ihn nicht leiden“, schloss er mit Inbrunst.
Wie er da so stand, mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf, und mit müder, schleppender Stimme sprach, dachte Ella sich, dass er diesen
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