Marcos Verlangen
hilfreich sein, wenn ich mich daran machen soll, erste Einschätzungen abzugeben.“
„Das freut mich, Ella. Du sollst es aber auch zu deinem Vergnügen machen und nicht immer nur deine Aufgabe im Hinterkopf haben, okay?“
„Okay. Ich vergnüge mich, versprochen!“
„Aber nicht zu viel!“ Er lachte. „Hör mal, tesoro, auf unsere Schmuserunde müssen wir heute mal verzichten, ich habe noch einiges zu erledigen für morgen. Nicht böse sein, ja?“
„Aber nein!“, beruhigte sie ihn amüsiert. „Es soll schließlich nicht in Routine ausarten.“
„Ich rufe dich morgen wieder an, ja? Ich vermisse dich!“
„Ich dich auch. Gute Nacht!“
Am nächsten Vormittag gab Angelo seiner Gruppe die Aufgabe, aus mehreren selbst gewählten Objekten eine Komposition zu erstellen und davon eine Bleistiftzeichnung zu machen. Während alle konzentriert arbeiteten, streifte er durch die Gruppe und begutachtete die jeweiligen Fortschritte der einzelnen. Anna, die kleine dunkelhaarige, und Matteo, der große Schlaks mit dem Ankertattoo im Nacken, hatten sich schon am Vortag nebeneinander gesetzt und kicherten und schäkerten immer wieder leise vor sich hin. Die tadelnden Blicke des kleinen Paolo entgingen ihnen ebenso wie die amüsierten von Ella. Da hatten sich wohl wieder zwei gefunden, dachte sie belustigt.
Als sie sich beobachtet fühlte, sah sie auf. Wie lange Angelo schon neben ihrem Tisch stand und ihr beim Arbeiten zusah, wusste sie nicht. Sie war vollkommen auf das Stillleben konzentriert gewesen, das sie aus einer Cappuccinotasse, einem Kaffeelöffel, einem Wasserglas und ein paar Beuteln Zucker vor sich aufgebaut hatte.
„Schön!“, meinte er schließlich zögernd, und warf ihr einen undefinierbaren Blick zu. „Eine wirklich gelungene Komposition, aber du solltest das Glas noch etwas mehr nach rechts rücken – es steht zu mittig, siehst du? Das nimmt dem Ganzen die zu große Harmonie und gibt dem Bild dadurch eine gewisse Spannung. Ein Laie, der sich das ansieht, versteht zwar nicht das Warum, aber er wird in jedem Fall etwas Faszinierendes spüren, etwas, das ihn dazu bringt, das Bild länger anzusehen, als er eigentlich wollte.“
Damit wandte er sich ab und ging weiter. Staunend gab Ella ihm Recht. Ihr wurde mehr und mehr klar, dass da ein echter Profi vor ihnen stand, kein Hobby-Maler, der sich nur mal eben während der Sommermonate ein bisschen Geld nebenher dazuverdiente. Das hier war sein Leben, das konnte sie spüren.
Ein Gedanke durchzuckte sie. Vielleicht konnte er ihr dabei helfen, ein wenig Licht in den undurchdringlichen Dschungel zu bringen, den Marcos Sammlung derzeit noch für sie darstellte. Er hatte mehr als nur Ahnung von all dem, was er vermittelte, er besaß fundiertes Wissen und grenzenlose Leidenschaft.
Falls er sie auch heute wieder auffordern würde, für ihn Modell zu sitzen, dann würde sie ihn fragen.
Das Handy in ihrer Hosentasche vibrierte. Unauffällig zog sie es heraus und sah nach.
„Habe gerade einen neuen Akt entdeckt – musste an dich denken – bin natürlich sofort hart geworden – sehne mich unendlich nach dir – ruf mich später an, aber zieh dich noch nicht aus! M.“
Die Eindeutigkeit der Botschaft ließ Ella verschmitzt grinsen, während gleichzeitig Hitze zwischen ihre Schenkel schoss.
Sie spielte kurzzeitig mit dem Gedanken, am Abend einfach von hier zu verschwinden und zu ihm zu fahren – binnen einer Stunde konnte sie bei ihm sein - als ihr einfiel, dass er an diesem Abend nicht zu Hause sein würde. Sie seufzte. Also wurde das nichts und sie würden sich wieder mit einer Runde Telefonsex begnügen.
Tatsächlich bat Angelo sie auch an diesem Abend in sein Atelier. Zu ihrer Überraschung aber drückte er ihr einen Skizzenblock und einen dicken, weichen Grafitstift in die Hand.
„Zeichne irgendetwas, was du hier drin siehst!“, forderte er sie auf.
Verblüfft starrte sie ihn an. „Was soll ich?“
„Zeichnen.“
Er selber setzte sich wieder so wie am Abend zuvor und nahm sie ins Visier. Kommentarlos begann er zu arbeiten.
Als ihr klar wurde, dass von ihm nichts weiter kommen würde, zuckte Ella kurz die Achseln und sah sich nach einem geeigneten Objekt um. Doch dann kam ihr eine Idee…
Etwa zwei Stunden später sah er auf.
„Und?“
„Alles in Ordnung“, lächelte sie. An ihr Anliegen mit Marcos Zeichnungen hatte sie genauso wenig gedacht wie daran, ihn nun endlich nach Dante zu fragen. Sie war genauso in ihre Tätigkeit
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