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Marek-Miert 01 - Der dreizehnte Mann

Marek-Miert 01 - Der dreizehnte Mann

Titel: Marek-Miert 01 - Der dreizehnte Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Wieninger
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Die Damen wechselten fast wöchentlich und grüßten mich penetrant nicht, ein leises Summen aus den vielen Leitungen durchzog die Mauern.
    Der Vormieter meines Wohnbüros war ein Engelmacher gewesen und hatte mir seine Wartezimmereinrichtung ablösefrei überlassen: acht grundsolide, unbequeme Eichenstühle, einen Schreibtisch wie aus einem Fontane-Roman und den Farbdruck einer ins Violette schillernden Ansicht der Großglockner-Hochalpenstraße.
    Als die Abtreibung hierzulande legalisiert wurde, mußte er umsatteln, da seine Kundinnen es schon aus Gründen des Selbsterhaltungstriebes vorzogen, wirkliche Ärzte zu konsultieren. Seine letzten Berufsjahre brachte er damit zu, persischen und arabischen Mädchen, die in ihre Heimat zurückkehren und dort heiraten wollten, den zerrissenen Hymen zu rekonstruieren. Mit fünfundsechzig wechselte der gelernte Friseur nach einem langen, erfüllten Berufsleben schließlich in den wohlverdienten Ruhestand.
    Ich habe kein anderes Zuhause als seinen viktorianischen Warteraum, in dem so viele ihr landläufiges Unglück erwartet hatten, und die Kammer dahinter - sein Behandlungsraum -, in der ich schlafe und von Zeit zu Zeit auf einem kleinen Gasherd Junggesellengerichte versalze oder sonstwie ungenießbar mache. Auch eine Duschecke habe ich eingebaut und bin somit eindeutig dem zivilisierten Teil der Menschheit zuzurechnen. Meine Weinsammlung befindet sich in einem Kleiderkasten, den ich immer versperrt halte. Sonst besitze ich hienieden nicht sonderlich viel. Außer meinen großen Schädel, einen Fernseher aus der Frühzeit des Color-TV-Zeitalters, einen Plattenspieler älter als Elvis und ein paar schnieke Anzüge aus dem Ausverkauf. Allerdings nenne ich seit gestern noch einen Videorecorder mein eigen, den ich dann doch aus dem Kofferraum des Granada nahm und bis zum Briefkasten der alles andere als piekfeinen Adresse Birkengasse 237 trug. In der Post war das Übliche: der Katalog eines Damenwäsche-Versandhauses und das ausgesucht höfliche Schreiben einer Wiener Briefkastenfirma, die mir partout zehn Hektar Baugrund in Paraguay verkaufen wollte.
    Das Stiegenhaus roch wie immer trotzig nach den Billigparfüms der Telefonistinnen und nach ihrem Provisionsschweiß. Die Tür zu meinem Wohnbüro war gegen ungebetenen Besuch durch ein Zahnradschloß aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gesichert, das so verrostet ist, daß es schon fast wieder einbruchsicher ist. Es ist jedesmal ein Vabanquespiel, es noch einmal aufzukriegen.
    Um mit dem altehrwürdigen Schlüssel in diesem eigenwilligen Schloß ungehindert herumfuhrwerken zu können, wollte ich den Videorecorder auf dem Boden abstellen. Dabei rutschte er mir aus den Fingern und schlug auf den Fliesenboden, die offenbar defekte Zufuhrklappe sprang auf, und im Gehäuse kam eine Videokassette zum Vorschein. Ich nahm sie heraus: Es war das „Dschungelbuch“ von Kipling in der Zeichentrickversion von Walt Disney. Seit mir mit neun von einem sadistischen Großonkel ziemlich glaubhaft versichert worden war, daß auch ich einmal sterben würde, bin ich nicht mehr so enttäuscht gewesen. Ich hatte Emma Holzapfel doch einen entschieden weniger infantilen Geschmack zugetraut und hätte mir demzufolge zumindest „Doktor Schiwago“, den „Förster vom Silberwald“ oder wenigstens einen Softporno erwartet.
    Dann begann in meinem Wartezimmer das Telefon zu läuten, und ich begann einen hektischen Kampf gegen das verrostete Produkt der Schmiedekunst des vorigen Jahrhunderts - und obsiegte.
    Monatelang hatte niemand angerufen, und nun läutete es schon zwei Abende hintereinander bei mir. Entsprechend erregt - man kann es nicht anders ausdrücken - lief ich auf den klingelnden Apparat zu: Marek Miert war wieder im Spiel.
    „Hallo?“
    „Neuigkeiten aus dem Reich der Toten gefällig?“
    „Immer, Salek.“
    „Ich möchte, daß du bei der Suche besonders gut auf dich aufpaßt, alter Knabe.“
    „Meine Mama spricht.“
    „Im Ernst, Miert. Die erste Sichtung der Knochenreste hat nämlich ergeben, daß dem Erschießungspeloton offenbar die Munition ausgegangen ist. Ich habe haufenweise Frakturen festgestellt. Vor allem an den Schädeln ...“
    „Das heißt?“
    „Das heißt im Klartext ...“ Saleks Stimme versagte mit einem Mal. Durch die Leitung keuchte er wie ein ganzes Altersheim: „Das heißt, sie haben die Verwundeten erschlagen, die vor Schmerzen brüllenden Angeschossenen. Wahrscheinlich mit den Gewehrkolben. - Glaubst du

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