Marek-Miert 01 - Der dreizehnte Mann
an den Teufel, Miert?“
„Er sitzt seit dreißig Jahren neben mir und wartet ab.“
„Wer so etwas fertigbringt, ist böse. Satanisch böse. Ich hoffe, daß du diese Leute, die das getan haben, nicht findest. Ich hoffe, daß du sie nicht hier in Harland findest. Ich hoffe, daß sie ebenfalls schon tot sind.“
„Ziehst du deinen Auftrag an mich hiermit zurück?“
„Ich bin mir nicht sicher, ob ich das jetzt noch kann.“
„Was ist mit Emma Holzapfel?“
„Du kannst sie haben. Komm morgen Nachmittag auf einen Sprung vorbei, Moby.“
„Ich würde zu einem Stifterl Eiswein raten und dann ab ins Bett!“
„Lexotanil tut's auch. Gute Nacht.“
„Gute Nacht, Longinus.“
XI
Ein wirrer Traum trieb mich nach Mitternacht aus einem Schlaf, der so dünn wie Frühjahrseis gewesen war: Schir Khan, der Tiger, kommandierte ein Erschießungspeloton aus lauter Dschungelwölfen, das auf mich anlegte. Mogli hockte in einem Busch und beobachtete die Szene verstört, sein langer Daumen zeigte nach unten: Ein ebenso Todgeweihter grüßte mich. Als das Mündungsfeuer der Karabiner auf meine Netzhaut blitzte, erwachte ich in die Nacht, in eine Nacht, die so endlos war wie der Tod und so unlyrisch wie ein Weihnachtskarpfen.
Was wollte mir der dunkelbraune Junge, die Walt-Disney-Figur, der Schemen aus ein bißchen Tinte und Farbe, bloß sagen? War es nicht absurd, überhaupt eine solche Frage zu stellen? Gehirnerweichung bei Marek Miert? Während meines Räsonierens kroch die Schlaflosigkeit wie eine Spinne in meine Augäpfel. Am Faden der Sehnerven kroch sie spinnengenau weiter auf meinen Traum zu.
Die allermeisten Träume bedeuten nur sich selbst, räsonierte ich, und sind nichts weiter als unerhebliche Reparaturarbeiten in unseren Köpfen, wo neu verdrahtet wird. Aber manchmal träumt einer dann doch das Benzol oder den Erzengel Michael, der sein furchtbares Schwert wieder in die Scheide stößt, und das ist ungefähr so absurd-grauenvoll wie eine Step tanzende Tomate. Nie können wir unterscheiden, dachte ich, ob diese Träume - die uns so bedeutungsvoll heimsuchen, wenn wir mit schlaffen Muskeln hilflos liegen - die Träume Gottes oder des Teufels sind.
Ich kam mir albern vor, als ich meinem Alptraum plötzlich Bedeutung zumaß, indem ich aufstand, Licht machte und um vier Uhr in der Früh probierte, den nagelneuen Videorecorder an das vorsintflutliche TV-Gerät anzuschließen, was mir nach einigen pfuscherhaften elektrotechnischen Operationen auch wider Erwarten gelang.
Es begann, wie es beginnen mußte: mit dem Findelkind Mogli, das Baghira, der Panther, bei einer Wolfsfamilie unterbrachte. Ich wurde schläfrig. Mein Traum war ein Reinfall, ich war ein Reinfall. Als dann unter den Wölfen ruchbar wurde, daß Schir Khan, der Tiger ... Ein Guillotinenschnitt, im Bild war plötzlich so etwas wie ein Solarium mit viel Glas, hellem nordischen Holz und vielen Lampen und einem mächtigen UV-Strahler unter der Decke. Darunter auf einer Liege ganz aus Glas oder Plexiglas ein Körper, zusammengekrümmt wie ein Embryo, in instabiler Seitenlage, uralt, dunkel, faltig wie ein Kalkgebirge und nackt, eine tausend Jahre alte Totgeburt, angestrahlt von oben und unten, rechts und links von Licht, das heller und schärfer als die Sommersonne war. Ob das Wesen auf der Glasplatte männlich oder weiblich, mehr tot oder mehr lebendig war, war nicht eindeutig festzustellen. Bewegungslos wie ein Obelisk röstete es unter den Strahlen, und doch drückte dieser prähistorische Körper durch seine Haltung Schmerz und Ekel aus, Gefühle, die es in der Welt des Zeichentricks nicht gibt. Dies war kein Cartoon mehr. Wer war so krank, fuhr es mir durch den Schädel, einen Leichnam, nackt und bloß, auf Video zu bannen?
Mit einem Mal aber hob die Leiche zu sprechen an, wie ein zweiter Lazarus, wie eine dieser Computermaschinen, die von Krebs zerfressene Stimmbänder zu ersetzen haben: „Jetzt, wo sich die Würmer bald an mir weiden werden, hast du mich gefunden, kleine Emma.“
Diese Stimme war brüchig wie Kork und kam aus einem Kehlkopf, der fast nicht mehr zu funktionieren schien.
„Als du davongelaufen bist, kleine Emma, hat Resch auf dich angelegt. Ich habe ihm gern den Kiefer gebrochen. Er ist noch vor dem Staatsvertrag an seiner eigenen Galle erstickt. Da waren's nur noch zwölf.“
Der Körper bewegte sich nicht ein Jota, aber die brüchigleise Stimme aus ihm beherrschte das Solarium. Und sie beherrschte auch mich.
„Strunz hat
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