Marek-Miert 01 - Der dreizehnte Mann
aufbewahren. Ich packte die Kassette in einen Umschlag, adressierte ihn an mich selbst und klebte so viele Marken darauf, wie ich nur finden konnte. Den blutigen Blinkerteil steckte ich in ein zweites Kuvert, das ich ebenfalls an mich adressierte.
Noch in der Nacht machte ich mich auf den Weg, um den Sprengstoff, die beiden Sendungen, schleunigst loszuwerden. Im Mantel über dem Pyjama marschierte ich in einen ekelkalten Nieselregen, der wie Rotz an mir herunterrann und dann gefror, auf einen Postkasten zu, der nur wenige hundert Meter vom Bahnwärterhäuschen entfernt lag. Vor lauter Angst hatte ich vergessen, daß ich ein Auto besaß. Jeder dunklen Hausecke näherte ich mich mit der gebotenen Vorsicht, aber niemand hatte es um diese nachtschlafene Zeit auf mich abgesehen.
Das könnte sich unter Umständen sehr rapide ändern, dachte ich.
XII
„Hundertfünfzigtausend.“
„Was?“ Ich war einigermaßen verblüfft.
„So wie Sie aussehen, brauchen Sie mindestens hundertfünfzigtausend.“
Sie hatte rotlackierte, bis ins Unendliche verlängerte Fingernägel und zu Fußbällen hochoperierte Silikonbrüste. Ein enges, schwarzes Nichts von Pulli sorgte gehörig dafür, daß man letztere ja nicht übersah. Im linken Nasenflügel trug sie einen Brillanten, und von den Kosten ihres Make-ups und ihrer Frisur, Lady Macbeth und Elisabeth Taylor zugleich imitierend, hätte sich eine Großfamilie drei Wochen lang ernähren können. Mit einem Wort: In den frühen Achtzigern hätte man sie in jeder Provinzstadt für die Sünde selbst gehalten. Aber das war lange her ...
An der Wand des Kreditvermittlungsbüros hingen Farbdrucke von all den netten, kleinen Annehmlichkeiten des Lebens: Ein Ferrari präsentierte stolz seinen Kühlergrill, ein schönbrunnergelbes Schlößchen - wahrscheinlich mit nicht mehr als sechs oder acht Schlafzimmern (man gönnt sich ja sonst nichts) - dominierte einen circa zwei Hektar großen Park, ein Palmenstrand zog sich bis an den Horizont, eine schöne Aidskranke, so märzhaft mager alles an ihr, räkelte sich in einem Haute-Couture-Fetzen. All das wurde von einer überdimensionalen Kupferplatte überstrahlt, auf der die goldenen Worte prangten: “Volkskredit (VK) - Macht Appetit auf mehr!” Sonst befanden sich nur ein Karteikasten, ein Schreibtisch, zwei Telefone und die Sünde im Raum. Das reichte wahrscheinlich, um die Leute übers Ohr zu hauen.
„Ich hatte mir eigentlich einen fetten, irgendwie ungustiösen Typen im pompösen Nadelstreif erwartet ...“, sagte ich.
„Warum?“
„Mein Gott, man macht sich halt so romantische Vorstellungen von der Mafia. Hollywood und so, Al Capone, na, Sie wissen schon.“
Wie ein verschämter Freier hatte sich der Morgen in die Stadt geschlichen. Vom Fenster des Bahnwärterhäuschens hatte ich eine müde Novembersonne als roten Popanz träge über den östlichen Rand des Horizonts tanzen gesehen, wie bei einem letzten Walzer beim bunten Abend im Seniorenheim. Ich hatte eine altbackene Semmel gefrühstückt und eine halbe Tüte leicht verschimmelter Pistazien. Ein Glas eingelegte bulgarische Oliven aus dem Sonderangebot hätte sich auch noch angeboten, aber ich hatte mich auch so schon schlecht gefühlt. Die Kaffeemaschine, wohl endgültig verkalkt, hatte keinen einzigen Tropfen Wasser mehr hochgezogen.
Ich war wieder in die Eisnerstraße gefahren und hatte mich wie gestern vor der Nummer 119 eingeparkt, fest darauf vertrauend, daß die Protagonisten des Nachtgeschäftes längst den Schlaf der Ungerechten schliefen. Tatsächlich war vor dem Mehrzweck-Betonwürfel weit und breit kein Wotan zu sehen gewesen, und die wieder verglasten Auslagen der Peepshow waren so dunkel wie die Rückseite des Mondes. Im Flur zu den Büros der Kreditvermittler und zu Madame Helgas Salon war keine Spur von Wotans Blut mehr zu entdecken gewesen, aber ich hatte es noch gerochen, weil ich eine Nase dafür habe oder mir leicht etwas einbilde.
„Sie sind verrückt!“ meinte die Sünde nachsichtig zu mir wie zu einem manisch-depressiven Kellner, der gerade vorhat, sich im Abort zu ertränken.
„Verrückt genug, um mit Ihnen ins Geschäft kommen zu wollen.“
„An Meschuggene verleihen wir nicht einmal einen Hosenknopf.“
„Es geht mir nicht um Geld, ich habe Appetit auf mehr: Es geht um Informationen.“
Die Sünde machte Fischaugen, und mit diesen kalten Fischaugen zwang sie mich zunächst einmal dazu, mich in einen der Besucherstühle vor ihrem Schreibtisch zu
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