Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Marek-Miert 01 - Der dreizehnte Mann

Marek-Miert 01 - Der dreizehnte Mann

Titel: Marek-Miert 01 - Der dreizehnte Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Wieninger
Vom Netzwerk:
sich, während Chruschtschov seine berühmte Rede hielt, versehentlich erhängt. In Damenstrümpfen und mit tropfendem Gemächt. Da waren's nur noch elf.“
    Was da gegeben wurde, war wohl der große Abzählreim des Todes, den ein Moribunder stockend und mit großen Pausen zwischen den einzelnen Versen sprach: Eene, meene, muu, und draus bist du! Es ist ein Spiel, das steinalte Menschen sehr gerne spielen, die große Subtraktion, die Feststellung, wer den letzten Weg vor ihnen gegangen ist ...
    „Zrenner und Krenn haben sich betrunken in ihre Audi-NSUs gesetzt. Da waren's nur noch neun.“
    Die Pausen zwischen den einzelnen Vorgängern wurden merklich länger, doch die Kamera blieb ruhig auf dem dunklen, faltigen Etwas auf der Sonnenliege. Wer forderte diesem uralten Kopf diese Namen ab?
    „Gradler ist zuerst zu Wohlstand, dann nach Thailand und dort zu Amöben in der Milz gekommen. Da waren's nur noch acht.“
    Ich achtete nicht mehr auf den Inhalt, sondern fragte mich nur, ob es der Sprecher bis zum Ende der dreizehn kleinen Negerlein bringen würde, ob er die nächste Minute überleben würde. Er sah nicht danach aus.
    „Der Sparmeister Heider hat abgelaufenes Bauchfleisch gekauft. Da waren's nur noch sieben.“
    Eine Chronik landläufiger Todesarten, dachte ich, so stirbt man more austriaco.
    „Steiner, Dallinger und Woran haben als erste gefeuert, weil sie Herzen aus Stahl hatten. Im Alter sind die ihnen dann verrostet. Da waren's nur noch vier.“
    Das Gesicht des Sprechers oder das, was davon noch übrig war, konnte ich nur im Seitenprofil sehen. Irgendwie kam es mir aber bekannt vor.
    Vielleicht ein alter Gott, der mich einmal per Alptraum gequält hatte, oder ein betrunkener Passant, oder eben jemand, den man kennen mußte. Auf jeden Fall war meine Erinnerung an dieses Gesicht schon sehr alt, die Erinnerung eines Kindes, eines Harlander Kindes.
    „Sauer und Bauer sind zum Arzt gegangen. Da waren's nur noch zwei.“
    Es war ein Witz auf dem Totenbett, und der uralte Mann sprach noch immer, brüchigleise, aber klar und konzentriert wie in einem Gotteshaus.
    „Sie lesen mir immer die Todesanzeigen vor: Vor zwei Tagen ist Christ als hochgeehrtes Mitglied des Kameradschaftsbundes selig im Herrn entschlafen. Der Mann hatte schon immer einen guten Magen. Da war's nur noch einer. Der dreizehnte Mann: Ich habe fünfzig Jahre auf dich gewartet, kleine Emma!“
    Die Kamera blieb weiter unbewegt auf dem konsequenten Erzähler, dessen einziges Thema der Tod war ...
    „Du schwitzt ja Blut, kleine Emma.“
    Das Bild wackelte.
    „Wir haben sie von der SS übernommen. Befehl ist Befehl. Vor allem für den Volkssturm, der ja sowieso nie etwas zu melden hatte. Als die Russen dann zum Angriff angetreten sind, ist Himmlers Stolz natürlich getürmt, und wir hatten die acht jämmerlichen Gestalten von den Tätowierten am Hals. Was die alles erzählen hätten können, von den Jahren in Kost und Logis bei der SS. Wir waren nicht davon überzeugt, daß die ersten russischen Sturmtruppen der feine Unterschied zwischen SS und Volkssturm besonders interessiert hätte. Wir fürchteten uns vor ihrer Rache. Die Idee hatte Resch, und so habe ich befohlen, sie zur Brücke zu treiben. Du bist uns nachgeschlichen, kleine Emma.“
    Die Kamera kippte weg, in das Licht und das Glas hinein, und plötzlich sang der König der Affen seinen Song, und Balu tanzte dazu, barambambababababa...
    Ich schaltete ab. In meinem Gesicht zuckte ein Nerv unaufhörlich. In meinem Magen begann eine granitschwere Kugel zu rollen, die immer größer und schneller wurde, sich - so schien es mir - durch das Zwerchfell drängte, die Speiseröhre hinaufkollerte und mit rasender Wucht gegen meinen Schädel prallte. Jemand spielt Billard mit mir, dachte ich, für ein unvorstellbar mächtiges Wesen bin ich der Billardtisch, und mein Hirn ist die Bande. Als ich mich wieder etwas beruhigt hatte, dachte ich, daß das kein Fall war, sondern eine Achterbahn! Der lebende Leichnam hatte offenbar über die Toten von der Harlander Nordbrücke - über Saleks Habilitationsthema - gesprochen! Sein Geständnis hatte ihm - der Teufel weiß wie - Emma Holzapfel, die als Kind Zeugin des Massakers gewesen sein mußte, per Video abgefordert, und dafür war sie überfahren worden!
    Wie betäubt nahm ich die Kassette aus dem Recorder. Ich hielt eine Bombe in Händen.
    In meinem Beruf gibt es eigentlich nur eine eiserne Regel: Nitroglyzerin sollte man möglichst fern von sich selbst

Weitere Kostenlose Bücher