Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
Vom Netzwerk:
Gedanken kreisten über ihr und stießen auf sie nieder,
ließen sich herab und hackten mit gierigen Klauen und scharfen Schnäbeln auf
ihr Gemüt ein. Eine zeitlose Weile lag sie unbeweglich, das Gesicht auf der
Erde, unter der heißen Sonne und dachte an Dinge und Menschen, die
dahingegangen waren, und erkannte, daß ein ganzes Geschlecht und sein Zeitalter
unwiderruflich tot war. Voller Verzweiflung blickte sie der dunklen Zukunft ins
grausame Antlitz.
    Als sie
sich endlich erhob und die schwarzen Trümmer von Twelve Oaks wieder vor sich
sah, trug sie den Kopf hoch, aber das Merkmal der Jugend, der Schönheit und der
schlummernden Zärtlichkeit war für immer aus ihrem Gesicht verschwunden. Das
Vergangene war vergangen, die Toten waren tot, das gelassen reiche Leben der
alten Zeit war dahin und kehrte niemals wieder; und als Scarlett sich den
schweren Korb über den Arm hängte, war sie zu einem klaren Entschluß über sich
selbst und ihr Leben gekommen.
    Ein Zurück
gab es nicht - sie ging vorwärts.
    Noch
einmal schaute sie auf die geschwärzten Steine, und zum letztenmal stieg das
alte Twelve Oaks vor ihren Augen auf, wie es einst gewesen, behäbig, reich und
stolz, das Wahrzeichen eines ganzen Geschlechts und seiner Art zu leben. Dann
machte sie sich wieder auf den Weg nach Tara, der schwere Korb schnitt ihr in
den Arm.
    Von neuem
fühlte sie den nagenden Hunger im leeren Magen, und plötzlich sagte sie mit
lauter Stimme: »Gott ist mein Zeuge - mich sollen die Yankees nicht
unterkriegen. Ich will hindurch, und wenn es vorüber ist, will ich nie wieder
hungern. Weder ich noch die Meinen! Und wenn ich stehlen oder morden müßte! -
Gott ist mein Zeuge, hungern will ich nie wieder!«
    In den
folgenden Tagen hätte Tara die einsame Insel Robinson Crusoes sein können, so
still und abgeschlossen von aller Welt lag es da. Es war, als ob Tausende von
Meilen es von den Nachbarorten, ja von den nächsten Plantagen trennten. Mit dem
alten Pferd hatten sie ihr einziges Beförderungsmittel verloren, und die
mühseligen staubigen Meilen zu Fuß zurückzulegen, hatte niemand Zeit noch
Kraft.
    Manchmal
ertappte sich Scarlett während der zermürbenden Tagesarbeit, dem verzweifelten
Ringen um Nahrungsmittel und der unaufhörlichen Sorge für die drei Kranken
dabei, daß sie auf die alten, vertrauten Laute horchte, das schrille Gelächter
der Negermädchen in den Sklavenhäuschen, auf das Knarren der heimkehrenden
Wagen, den donnernden Galopp von Geralds Hengst, wenn er über die Koppel
sprengte, oder die fröhlichen Stimmen der Nachbarn, die für einen behaglichen
Nachmittagsschwatz hereinschauten. Aber sie horchte umsonst! Tara war eine
verlassene Insel in dem Meer der wogenden grünen Hügel und der roten Felder.
Irgendwo war Krieg, Kanonendonner, waren brennende Städte und Männer, die in
Lazaretten starben; und irgendwo waren wohl auch friedliche Familien und
fröhliche singende Mädchen, irgendwo marschierte ein Heer barfuß in schmutzigen
Uniformfetzen, kämpfte und hungerte; und irgendwo waren die Hügel Georgias blau
von wohlgenährten Yankees auf glatten, gepflegten Pferden. Jenseits von Tara
waren die Welt und der Krieg, aber auf der Plantage waren die Welt und der
Krieg nur noch als Erinnerung vorhanden, die abgewehrt werden mußte. Alles
andere trat zurück vor den Forderungen der leeren Mägen. Das Leben bestand nur
noch aus diesen beiden Gedanken: etwas zu essen und wie es zu beschaffen war.
Warum hatte der Magen eine so viel größere Macht als der Geist! Herzbrechenden
Kummer konnte Scarlett sich fernhalten, aber nicht den Hunger. Jeden Morgen,
noch ehe sie ganz wach war und das Gedächtnis sie an den Hunger mahnte, dehnte
sie sich verschlafen in der Erwartung des Duftes von gebratenem Speck und
gebackenen Broten. Aber auf dem Tisch von Tara standen nur Äpfel, Bataten und
Milch und auch von diesen einfachsten Speisen niemals genug. Wie gedankenlos
und verschwenderisch war sie früher mit den Leckerbissen umgegangen, die in
Hülle und Fülle auf die Tafel gekommen waren: mit den Semmeln, Maisbrötchen,
Zwiebacken und Waffeln, die von Butter troffen, mit dem Schinken, den
gebratenen Hühnern, dem Kohl, der üppig in fetter Fleischbrühe schwamm, mit den
Bohnen, dem geschmorten Kürbis und den Karotten in so dicker Rahmsauce, daß man
sie durchschneiden konnte. Mit den süßen Speisen, Schokoladenkuchen,
Vanillecremes und Schlagsahnetorten.
    Die
Erinnerung an diese Mahlzeiten konnte ihr die Tränen

Weitere Kostenlose Bücher