Margaret Mitchell
gestanden hatten, aber die Blätter waren vom
Feuer versengt und die Äste geschwärzt. Mitten darin lagen die verkohlten
Trümmer von John Wilkes' stattlichem Haus, das mit seinen würdevollen weißen
Säulen den Hügel gekrönt hatte. Eine tiefe Grube, die der Keller gewesen war,
geschwärzte Fundamente aus Feldsteinen und zwei mächtige Schornsteine
bezeichneten die trostlose Stätte. Eine hohe Säule war halbverkohlt auf den
Rasen gestürzt und hatte die Jasminbüsche zerdrückt. Scarlett setzte sich auf
diese Säule, und einen Augenblick war sie zu elend, um weiterzugehen.
Hier hatte
sie getanzt und geflirtet, hier hatte sie mit eifersüchtigem, wehem Herzen Melanie
und Ashley einander zulächeln sehen. Hier im Schatten der Bäume hatte Charles
ihr verzückt die Hand gepreßt, als sie ihm sagte, sie wolle ihn heiraten.
Nichts mehr würde hinfort in diesem Hause sich ereignen. Es war tot, und
Scarlett war es ums Herz, als lägen alle Wilkes unter seiner Asche begraben.
Sie raffte
sich auf und humpelte zwischen den Trümmern hindurch an dem zertretenen
Rosengarten vorbei, den die Wilkesschen Mädchen so liebevoll gepflegt hatten,
durch die Trümmer des Räucherhauses, der Scheunen und der Ställe. Der
Lattenzaun um den Gemüsegarten war niedergerissen, und den einst so säuberlich
in Ordnung gehaltenen Beeten war es nicht besser ergangen als denen in Tara.
Von Hufspuren und schweren Räderfurchen war der weiche Boden aufgewühlt und
alles Grün in die Erde gestampft worden. Nichts war da mehr zu holen.
Sie schlug
den Weg hinunter zu der schweigenden Reihe der Sklavenhäuser ein. Sie rief laut
»Hallo!«, aber niemand antwortete, nicht einmal ein Hund bellte. Offenbar
hatten die Wilkesschen Neger alle die Flucht ergriffen oder waren den Yankees
gefolgt. Sie wußte, daß jeder Sklave hier ein eigenes Stück Gartenland hatte,
und hoffte, davon wäre vielleicht ein weniges verschont geblieben. Ihr Suchen
wurde belohnt, aber sie war zu müde, um sich zu freuen, als sie Rüben und Kohl
fand, zwar welk, da niemand ihnen Wasser gegeben hatte, dazu hier und da ein
paar niedrige Bohnenpflanzen, an denen gelbe eingetrocknete Bohnen hingen, die
aber noch eßbar waren. Sie kniete auf den Erdboden nieder und grub mit
zitternden Händen aus, was sie fand, und langsam füllte sich ihr Korb. Heute
abend sollte es auf Tara gut zu essen geben, obwohl kein Fleisch da war, das in
dem Gemüse hätte gekocht werden können. Vielleicht konnte man etwas von dem
Schinkenfett, mit dem Mammy die Kerzen ersetzte, als Würze gebrauchen. Sie
würde Dilcey befehlen, einen Kienspan zum Leuchten zu nehmen und das Fett für
die Küche zu sparen.
Unmittelbar
hinter einem der Häuser entdeckte sie eine kurze Reihe Radieschen, und
plötzlich überfiel sie der Hunger. Ein würziges, scharfes Radieschen war gerade
das, wonach ihr Magen verlangte. Sie nahm sich nicht die Zeit, es von der Erde
zu säubern, sondern biß gleich hinein und schluckte die Hälfte hastig hinunter.
Es war alt und holzig und so scharf, daß ihr die Tränen in die Augen traten.
Kaum war der Bissen hinunter, so empörte sich ihrer leerer, mißhandelter Magen.
Sie lag auf der weichen Erde und erbrach sich.
Der
schwache Negergeruch, der aus dem Hause kam, verschlimmerte ihre Übelkeit, und
ohne alle Widerstandskraft würgte sie elend weiter; Bäume und Häuser fingen an,
sich um sie zu drehen.
Als sie
wieder zu sich kam, blieb sie matt auf dem Gesicht liegen. Der Erdboden war
weich wie ein Federkissen, und ihre Gedanken schweiften hierhin und dorthin.
Sie, Scarlett O'Hara, lag inmitten all der Verwüstung hinter einem Sklavenhaus,
zu elend und zu schwach, um sich zu erheben, und niemand auf der Welt kümmerte
sich um sie. Alle waren viel zu sehr mit ihren eigenen Nöten beschäftigt, als
daß sie sich Sorgen um andere machten. Und das geschah ihr, Scarlett O'Hara,
die nie auch nur einen Finger gerührt hatte, um einen Strumpf aufzuheben oder
ein Schuhband zu knüpfen, die mit ihren kleinen Schmerzen und Launen
verhätschelt und verzogen worden war.
Ausgestreckt
lag sie am Boden, zu schwach, um sich gegen Erinnerungen und Sorgen zu wehren,
und nun fielen sie über sie her und umkreisten sie wie Geier, die auf ihren Tod
warteten. Jetzt fehlte ihr die Kraft zu sagen: An Mutter und Pa, an Ashley und
dies ganze Trümmerfeld will ich später denken - später, wenn ich es ertragen
kann.« Jetzt konnte sie es nicht ertragen und mußte doch daran denken, ob sie
wollte oder nicht. Die
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