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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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seltenen
Augenblicken, wenn ihre endlosen Pflichten ihr die Zeit ließen, darüber
nachzudenken, grämte sie sich darüber. Es war noch schlimmer, als ihn
fortwährend am Rock hängen zu haben. Es kränkte sie, daß er an Melanies Bett Zuflucht
suchte und still vor sich hin spielte oder ihren Geschichten zuhörte. Wade hing
mit all seiner Liebe an »Tantchen«, weil sie eine so sanfte Stimme hatte, immer
lächelte und niemals sagte: »Sei still, Wade, ich bekomme sonst Kopfschmerzen«,
oder: »Geh und spiel, Wade, ich habe keine Zeit.«
    Scarlett
hatte weder die Zeit noch die Lust, ihn zu liebkosen, aber sie wurde
eifersüchtig, wenn sie Melanie zärtlich mit ihm umgehen sah. Als sie eines
Tages eben hinzukam, wie er in Melanies Bett auf dem Kopf zu stehen versuchte
und auf die Kranke niederfiel, herrschte sie ihn an und schlug ihn. »Fällt dir
denn gar nichts Besseres ein, als Tantchen so weh zu tun, wenn sie krank ist?
Marsch, geh in den Garten und spiel und komm hier nicht wieder herein.«
    Melanie
streckte den schwachen Arm aus und zog das jammernde Kind an sich. »Ach, Wade
hat mir doch gar nicht weh tun wollen! Er wird mir wirklich nicht lästig,
Scarlett, laß ihn doch hierbleiben und mich auf ihn achthaben. Es ist das
einzige, was ich tun kann, bis es mir wieder besser geht, und du hast ohnehin
alle Hände voll zu tun.«
    »Sei keine
Gans, Melly«, sagte Scarlett kurz, »es geht dir nicht so gut, wie es sollte,
und daß Wade dir auf den Magen fällt, hilft dir auch nicht gerade weiter. Wade,
wenn ich dich noch einmal auf Tantchens Bett ertappe, bekommst du Prügel. Und
nun laß das Schnüffeln! Sei doch ein kleiner Mann!«
    Schluchzend
und schnüffelnd lief Wade hinaus und versteckte sich hinter dem Hause. Melanie
biß sich auf die Lippen, und Tränen traten ihr in die Augen, während Mammy, die
draußen vom Flur her alles gehört hatte, ein böses Gesicht machte und heftig
schnaufte. Aber in jenen Tagen wagte niemand eine Gegenrede. Alle hatten Angst
vor Scarletts scharfer Zunge und vor dem neuen Menschen, der in ihrer Gestalt
umherging.
    Sie
herrschte auf Tara jetzt unumschränkt, und wie bei manchen Menschen, die
plötzlich zur Macht gelangen, traten all ihre herrschsüchtigen Triebe in den
Vordergrund. Sie war nicht von Natur hart, sie fühlte sich im Gegenteil selber
unsicher und ängstlich, deshalb gerade wurde sie schroff, damit die anderen
ihre innere Hilflosigkeit nicht gewahrten. Außerdem machte sie die Erfahrung,
daß es ihren überreizten Nerven wohltat, die Leute anzuschreien und
einzuschüchtern. Sie blieb sich über ihre eigene Veränderung nicht im Unklaren.
Manchmal, wenn auf ihre schroffen Befehle hin Pork die Unterlippe vorschob oder
Mammy knurrte, kam ihr wohl die Frage, wo ihre guten Manieren geblieben seien.
All die Sanftmut und Höflichkeit, die Ellen ihr anerzogen hatte, waren von ihr
abgefallen wie die Blätter von den Bäumen beim ersten kalten Herbstwind.
Unermüdlich hatte Ellen ihr eingeprägt: »Sei entschieden, aber milde mit
Untergebenen, besonders mit Schwarzen.«
    War sie
aber milde, so saßen die Schwarzen den ganzen Tag in der Küche herum und
unterhielten sich endlos über die guten alten Zeiten, da einem Hausneger noch
nicht die Arbeit eines Feldniggers zugemutet wurde.
    »Liebe
deine Schwestern«, hatte Ellen ihr eingeprägt, »und gehe sanft und freundlich
mit denen um, die in Kummer und Sorge sind.« Jetzt aber konnte sie ihre
Schwestern nicht liebhaben; sie empfand sie nur als schwere Last auf ihren
Schultern. Und was das Gutsein anging badete sie die Kranken nicht, kämmte sie
ihnen nicht das Haar und gab ihnen zu essen, auch wenn sie täglich meilenweit
laufen mußte, um Gemüse zu finden? Lernte sie nicht die Kuh melken, obwohl ihr
jedesmal das Herz in den Hals stieg, wenn das fürchterliche Tier ihr die Hörner
wies? Und Freundlichkeit gar war Zeitverschwendung. Wenn sie zu freundlich mit
den beiden war, blieben sie womöglich noch länger als notwendig im Bett, und
sie sollten doch, sobald es irgend ging, wieder auf die Beine kommen, damit
vier helfende Hände mehr da seien.
    Ihre
Genesung machte nur langsame Fortschritte. Abgezehrt und schwach lagen sie im
Bett. Während der Zeit, da sie nicht zu klarem Bewußtsein kamen, hatte sich für
sie die ganze Welt verändert. Die Yankees waren gekommen, die Schwarzen waren
fortgegangen und Mutter war gestorben. Das waren drei unbegreifliche
Ereignisse, und ihr Geist weigerte sich, sie aufzunehmen. Oftmals meinten

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