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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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wäre, wenn Big Sam nicht dazwischengekommen wäre, senkte sie den Kopf
tiefer und kniff die Augen fest zusammen. Je länger sie in dem stillen Zimmer
saß und zu nähen versuchte, während Melanie erzählte, desto schmerzhafter
spannten sich ihre Nerven. Jeden Augenblick meinte sie, sie müßten mit jenem
schrillen Ton zerreißen, mit dem eine Banjosaite platzt.
    Archie
ärgerte sie mit seinem Schnitzen, und sie sah ihn finster an. Plötzlich kam es
ihr sonderbar vor, daß er dasaß und an einem Stück Holz herumschnitt, während
er doch sonst lang auf dem Sofa lag und so gewaltig schnarchte, daß sein Bart
bei jedem rasselnden Atemzug emporwehte. Und noch sonderbarer war es, daß weder
Melanie noch India ihm nahelegten, ein Stück Papier für seine Späne auf den
Fußboden zu breiten. Der Teppich vor dem Kamin war schon ganz mit ihnen besät,
aber sie schienen es nicht zu bemerken.
    Plötzlich
wandte Archie sich dem Feuer zu und spuckte einen Strom Tabaksaft mit solcher
Gewalt hinein, daß die Damen zusammenzuckten, als sei eine Bombe geplatzt.
    »Müssen
Sie denn durchaus so laut spucken?« fragte India mit solcher Nervosität, daß
ihre Stimme zitterte. Überrascht schaute Scarlett zu ihr hin. India war sonst
immer so beherrscht.
    Archie gab
India Blick und Ton zurück.
    »Ich war
immer so froh, daß der liebe Papa nicht kaute«, fing plötzlich Pitty an.
Melanies Stirn furchte sich, sie fuhr herum und sprach so scharfe Worte, wie
Scarlett noch nie von ihr gehört hatte.
    »Nun sei
aber still, Tantchen! Das ist taktlos.«
    »Ach
Gott!« Pitty ließ die Näherei in den Schoß fallen. »Ich weiß gar nicht, was
euch allen heute abend fehlt. Du und India, ihr seid so nervös und gereizt wie
zwei alte Schachteln.«
    Niemand
antwortete. Melanie entschuldigte sich nicht einmal, sondern nahm mit wahrem
Ungestüm ihre Näherei wieder auf.
    »Du machst
ja Riesenstiche«, erklärte Pitty mit einiger Genugtuung, »du wirst sie alle
wieder aufmachen müssen. Was ist dir nur?«
    Melanie
gab immer noch keine Antwort.
    Fehlte
ihnen denn wirklich etwas? Scarlett überlegte sich, ob sie vor lauter eigener
Angst es vielleicht nicht bemerkt hätte. In der Tat, trotz Melanies Versuchen,
den Abend so hinzubringen wie die andern fünfzig, die sie wohl schon
miteinander verbracht hatten, herrschte eine andere Stimmung als sonst, eine
Unruhe, die nicht nur von dem Schrecken und der Empörung über den Vorfall bei
Shantytown herrühren konnte. Scarlett warf ihren Gefährtinnen verstohlene
Blicke zu und fing dabei einen langen, prüfenden Blick von India auf, in dessen
kalter Tiefe sie etwas Stärkeres als Haß und etwas Beleidigenderes als
Verachtung zu erkennen glaubte.
    »Meint sie
etwa, was geschehen ist, sei meine Schuld?« dachte Scarlett empört.
    Dann
wandte India sich zu Archie, während aller Ärger wieder aus ihrem Gesicht
geschwunden war, und sie sah ihn fragend und voll verschleierter Angst an. Er
aber wich ihrem Blick aus und sah dafür Scarlett genauso hart und kalt und
prüfend an, wie India es getan hatte.
    Dumpfe
Stille legte sich über das Zimmer, und Melanie nahm das Gespräch nicht wieder
auf. In dem Schweigen hörte Scarlett draußen den Wind heftiger wehen. Sie
begann eine Spannung zu spüren, die in der Luft lag und sich immer noch zu
verdichten schien. Archie hatte einen wachsamen lauernden Ausdruck, und seine
buschigen Ohren waren gespitzt wie die eines Luchses. Melanie und India hoben
jedesmal, wenn Hufschlag auf der Straße erklang, den Kopf von ihrer Näherei,
und sobald nur die brennenden Scheite im Kamin leise knackten, fuhren sie auf,
als wären es schleichende Schritte.
    Da war
etwas nicht in Ordnung, und Scarlett überlegte, was es wohl sein mochte. Ein
Blick in Tante Pittys rundliches, argloses Gesicht sagte ihr, daß die alte Dame
ebenso ahnungslos war wie sie. Aber Archie, Melanie und India wußten etwas. In
der Stille vermeinte Scarlett förmlich zu spüren, wie in Indias und Melanies
Köpfen die Gedanken ebenso toll herumwirbelten wie Eichhörnchen in einem Käfig.
Sie warteten auf etwas und konnten es nicht durch vorgetäuschte Unbefangenheit
verbergen. Ihre innere Unrast teilte sich Scarlett mit und machte sie noch
gereizter als zuvor. Sie hantierte ungeschickt mit der Nadel, stach sich in den
Daumen und stieß einen Schmerzenslaut aus. Alle fuhren in die Höhe. Sie
drückte, bis ein hellroter Blutstropfen zum Vorschein kam.
    »Ich habe
einfach nicht die Ruhe, zu nähen«, erklärte sie plötzlich

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