Margaret Mitchell

zerrissene Handtuch, das sie gestopft hatte,
zerknüllte und wieder glättete.
    »India,
bitte!« Melanie hatte ihre Stimme in der Gewalt; aber ihr bleiches, verzerrtes
Gesicht und ihre gequälten Augen zeigten an, welche Überwindung es sie kostete.
»Scarlett, vielleicht hätten wir es dir sagen sollen. Aber du hast heute so
viel durchgemacht, daß wir ... daß Frank meinte ... und du warst immer so gegen
den Klan ...«
    »Den
Klan?«
    Zuerst
sprach Scarlett das Wort aus, als hätte sie es noch nie gehört und verstünde
seine Bedeutung nicht, dann aber kreischte sie fast: »Den Klan! Ashley ist doch
nicht im Klan? Frank kann doch unmöglich ... er hat es mir doch versprochen!«
    »Natürlich
ist Mr. Kennedy im Klan und auch Ashley! Alle Männer, die wir kennen!«
antwortete India mit lauter Stimme. »Es sind doch Männer, nicht wahr, weiße
Männer aus den Südstaaten. Du hättest stolz auf ihn sein sollen, anstatt ihn
hinausschleichen zu lassen, als sei es eine Schande ... «
    »Ihr alle
habt längst von alldem gewußt, nur ich ... «
    »Wir
fürchteten, es regte dich zu sehr auf«, sagte Melanie bekümmert.
    »Dahin
also gehen sie, wenn sie von ihren politischen Versammlungen reden. Und er hat
mir doch versprochen ... nun kommen die Yankees und nehmen mir meine Mühlen und
den Laden fort und stecken ihn ins Gefängnis ... ach, wovon sprach denn nur
Rhett Butler?«
    Indias
Augen blickten angstvoll in Melanies. Scarlett stand auf und schleuderte ihr
Nähzeug auf den Boden. »Wenn ihr es mir nicht sagt, gehe ich in die Stadt und
sehe selbst nach. Dann frage ich jeden, dem ich begegne, bis ich ... «
    »Hinsetzen!«
befahl Archie und blickte sie mit seinem einen Auge scharf an. »Ich will es
Ihnen sagen. Weil Sie sich heute nachmittag herumgetrieben und durch Ihre
eigene Schuld in Gefahr gebracht haben, sind Mr. Wilkes und Mr. Kennedy und die
anderen heute nacht fort, um den Nigger und den Weißen umzubringen, wenn sie
sie zu fassen bekommen, und ganz Shantytown auszuräuchern. Und wenn der Lump da
eben die Wahrheit gesprochen hatte, haben die Yankees Verdacht geschöpft oder
Wind bekommen und Truppen geschickt, ihnen aufzulauern. Unsere Leute sind in
die Falle gegangen. Und wenn Butler nicht die Wahrheit gesprochen hat, dann ist
er ein Spion und zeigt sie jetzt den Yankees an, und sie werden gleichfalls
erschossen. Wenn er sie aber anzeigt, dann bringe ich ihn um, und wenn es die
letzte Tat meines Lebens sein sollte. Wenn sie aber davonkommen, müssen sie
alle nach Texas fliehen und kommen vielleicht niemals wieder. Das ist alles
Ihre Schuld. An Ihren Händen klebt Blut.«
    Zorn
vertrieb die Angst aus Melanies Gesicht, als sie in Scarletts Zügen das
Begreifen dämmern sah, und dann überkam sie wieder das Entsetzen. Sie stand auf
und legte Scarlett die Hand auf die Schulter.
    »Noch ein
solches Wort, und du verläßt das Haus, Archie«, sagte sie streng. »Es ist nicht
ihre Schuld. Sie hat nur getan, was sie für nötig hielt, und auch unsere Männer
haben getan, was sie für nötig hielten. Man muß tun, was man muß. Wir denken
und handeln nicht alle gleich, und es ist unrecht, die andern nach uns selbst
zu beurteilen. Wie können Sie und India nur so grausam reden, wenn ihr Mann und
meiner vielleicht ... «
    »Horch«,
unterbrach Archie sie leise, »still, Missis, da kommen Pferde.«
    Melanie
sank in einen Stuhl, nahm eins von Ashleys Hemden in die Hand, beugte sich
darüber und begann geistesabwesend die Fältchen in schmale Streifen zu
zerreißen.
    Der
Hufschlag wurde lauter, und Pferde trabten auf das Haus zu, Trensen klirrten
leise, Leder knarrte, Stimmen wurden vernehmlich. Als die Reiter hielten, erhob
sich eine Stimme im Befehlston über die andern.
    Schritte
gingen am Haus vorbei nach der hinteren Veranda. Sie spürten tausend feindliche
Augen durch das unverhängte Vorderfenster auf sich gerichtet. Die vier Frauen
beugten sich klopfenden Herzens über ihre Arbeit. Die Nadeln flogen. Scarlett
schrie das Herz in der Brust: »ich habe Ashley umgebracht! Ich habe ihn
getötet!« Und in diesem schauerlichen Augenblick kam ihr gar nicht der Gedanke,
daß sie auch Frank getötet haben könnte. In ihrem Geiste hatte nur das eine
Bild Raum: Ashley am Boden liegend vor Yankee-Reitern, Blut im blonden Haar.
    Als es
laut und hastig an die Tür klopfte, sah sie Melanie an. Über deren gespanntes
Gesicht kam ein ganz neuer Ausdruck, dieselbe Leere, die sie soeben auf Rhett Butlers
Gesicht wahrgenommen hatte. Es war