Margaret Mitchell
lassen. Wie ich
die Holzlieferungen schaffe, geht Sie nichts an. Sie können sich nicht über
meine Arbeit beschweren. Ich habe Ihnen viel Geld eingebracht und ich habe mein
Gehalt verdient - und was nebenher für mich abfiel. Und nun kommen Sie daher,
mischen sich ein, fragen mich aus und untergraben meine Autorität vor den
Leuten. Wie soll ich jetzt noch Disziplin halten? Und wenn die Leute wirklich
einmal einen übergezogen bekommen? Das faule Gesindel verdient es nicht besser.
Und wenn ich sie wirklich nicht mäste und vollstopfe? Was sie bekommen, ist
noch zu gut für sie. Entweder kümmern Sie sich um Ihre Angelegenheiten und
lassen mich machen, was ich will, oder ich gehe noch heute abend.«
Sein
hartes kleines Gesicht sah noch härter aus als sonst. Scarlett saß in einer
Zwickmühle. Was sollte sie anfangen, wenn er heute abend ging? Sie konnte nicht
die ganze Nacht hierbleiben und die Sträflinge selber bewachen!
Johnnie
mußte ihren Augen wohl etwas von ihrer Verlegenheit ansehen, denn unvermerkt
wandelte sich sein Ausdruck, und sein Gesicht verlor etwas von seiner Härte. Es
klang ungezwungen, als er sagte:
»Es wird
spät, Mrs. Kennedy, und Sie sollten lieber nach Hause fahren. Wir wollen uns
doch nicht wegen einer solchen Kleinigkeit überwerfen, nicht wahr? Ziehen Sie
mir vom nächsten Monatsgehalt zehn Dollar ab, und wir machen einen Strich
darunter.«
Unwillkürlich
wanderten Scarletts Augen zu der elenden Schar hinüber, die am Schinken nagte,
und sie dachte an den Kranken, der in der zugigen Baracke lag. Sie sollte
eigentlich Johnnie Gallegher fortschicken, denn er war ein Dieb und ein roher
Patron, und man konnte nicht wissen, wie er die Sträflinge behandelte, wenn sie
nicht da war. Aber andererseits war er tüchtig, und sie brauchte, weiß Gott,
einen tüchtigen Mann. Sie konnte ihn nicht entbehren. Er brachte ihr Geld ein.
Sie mußte eben dafür sorgen, daß die Sträflinge künftig ihre gebührende Ration
bekamen.
»Ich ziehe
Ihnen zwanzig Dollar vom Gehalt ab«, sagte sie kurz, »und morgen früh komme ich
wieder, und wir sprechen weiter darüber.«
Sie nahm
die Zügel. Sie wußte, es würde nicht weiter darüber gesprochen werden. Die
Sache war erledigt, und das wußte auch Johnnie.
Während
sie den Seitenweg zur Landstraße hinunterfuhr, kämpfte ihr Gewissen mit ihrer
Geldgier. Sie durfte diesem Burschen keine Menschenleben auf Gnade und Ungnade
überlassen. Wenn einer von ihnen starb, so war sie ebensogut schuld daran wie
er. Aber auf der anderen Seite - nun, man brauchte ja schließlich nicht
Sträfling zu werden. Wer die Gesetze übertrat und sich erwischen ließ,
verdiente sein Los. Das erleichterte ihr das Gewissen. Aber als sie die Straße
hinunterfuhr, verfolgten die stumpfen, abgezehrten Gesichter der Sträflinge sie
noch lange.
»Ich will
später daran denken«, entschied sie, schob die Gedanken in die Rumpelkammer
ihres Gehirns und schloß die Tür dahinter zu.
Die Sonne
war völlig untergegangen, als sie die Straßenbiegung bei Shantytown erreichte.
Die Wälder um sie her lagen im Dunkel. Es war bitter kalt geworden, ein eisiger
Wind wehte durch die finsteren Wälder, daß die kahlen Äste knackten und die
welken Blätter raschelten. Noch nie war sie so spät allein unterwegs gewesen.
Es war ihr durchaus nicht geheuer, und sie wünschte, sie wäre schon zu Hause
angelangt.
Big Sam
war nirgends zu sehen, und als sie anhielt, um auf ihn zu warten, machte sie
sich Sorge um ihn und fürchtete, daß die Yankees ihn am Ende schon erwischt
hätten. Dann hörte sie Schritte den Weg von der Siedlung heraufkommen und
seufzte erleichtert auf.
Aber es
war nicht Sam, der an der Straßenbiegung erschien.
Es war ein
großer, zerlumpter Weißer und ein untersetzter, kohlschwarzer Neger, der Brust
und Schultern wie ein Gorilla hatte. Rasch trieb sie das Pferd mit den Zügeln
an und griff nach der Pistole. Das Pferd setzte sich in Trab, aber als der
Weiße plötzlich die Hand hob, scheute es.
»Meine
Dame«, sagte er, »haben Sie einen Vierteldollar? Ich bin hungrig!«
»Gehen Sie
aus dem Weg«, antwortete sie so ruhig sie konnte. »Ich habe kein Geld. Hü!«
Mit einer
plötzlichen Bewegung hatte der Mann das Pferd beim Zügel.
»Pack zu!«
rief er dem Neger zu, »sie wird das Geld wohl auf der Brust haben.«
Was nun
geschah, war für Scarlett wie ein böser Traum, es ging alles so rasch.
Blitzschnell hob sie die Pistole, ein Instinkt warnte sie davor, sie auf den
Weißen
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