Margaret Mitchell
Tür, daß ihre Reifröcke heftig schwankten und ihre Hosen
bis zum Knie freigaben, und ehe Archie die Hand auf die Klinke legen konnte,
riß sie die Tür auf. Rhett Butler stand auf der Schwelle, den weichen schwarzen
Hut tief in die Stirn gezogen. Der Sturm peitschte seinen Capemantel in
klatschenden Falten um ihn her. Dieses Mal hatten seine guten Manieren ihn im
Stich gelassen. Er nahm weder den Hut ab, noch beachtete er die andern im Zimmer.
Er hatte nur Augen für Melanie und fragte sie grußlos und schroff.
»Wohin
sind sie gegangen? Sagen Sie es rasch. Es geht auf Leben und Tod.«
Scarlett
und Pitty sahen einander erschrocken und verwundert an, und wie eine magere
alte Katze strich India durchs Zimmer zu Melanie. »Sag ihm nichts«, zischelte
sie rasch, »er ist ein Spion, einer von den Lumpen.« Rhett gönnte ihr nicht
einmal einen Blick.
»Schnell.
Mrs. Wilkes! Vielleicht ist noch Zeit.«
Melanie
war offenbar vor Schreck gelähmt und starrte ihm nur ins Gesicht.
»Was um
Gottes willen ...«, fing Scarlett an.
»Mund
halten«, verwies Archie sie kurz. »Sie auch, Miß Melly. Hinaus mit dir, zur Hölle,
du verdammter Lump!«
»Nein,
Archie, nein!« Melanie legte ihre zitternde Hand auf Rhetts Arm, als wollte sie
ihn vor Archie schützen. »Was ist geschehen? Woher ... woher wissen Sie ... «
In Rhetts
dunklem Gesicht kämpfte die Ungeduld mit der Höflichkeit.
»Du lieber
Gott, Mrs. Wilkes, sie sind doch alle von Anfang an verdächtig gewesen. Sie
waren nur zu schlau - bis heute abend. Woher ich es weiß? Ich habe mit zwei
betrunkenen Yankee-Hauptleuten Poker gespielt, die haben sich verplappert. Die
Yankees wußten, daß es heute abend etwas geben werde, und haben sich darauf
vorbereitet. Die Narren sind in die Falle gegangen.«
Es war,
als schwankte Melanie unter der Wucht eines schweren Schlages, aber Rhetts Arm
umfaßte sie, damit sie nicht falle.
»Sag es
ihm nicht! Er stellt dir eine Falle!« mischte India sich wieder ein und starrte
Rhett an. »Hast du nicht gehört, daß er heute abend mit Yankees zusammen war?«
Immer noch
blickte Rhett sie nicht an. Seine Augen schauten inständig in Melanies bleiches
Gesicht. »Sagen Sie, wohin sind sie gegangen? Haben sie einen Treffpunkt?«
Obwohl
Scarlett nichts von alledem verstand, glaubte sie doch, noch nie ein so leeres
und ausdrucksloses Gesicht wie jetzt Rhett Butlers gesehen zu haben. Aber
offenbar entdeckte Melanie etwas anderes darin, etwas, was ihr Vertrauen
einflößte. Sie straffte ihren kleinen Körper ein wenig, so daß er des
stützenden Armes nicht mehr bedurfte, und sagte ruhig, wenn auch mit zitternder
Stimme: »Draußen an der Decarurstraße bei Shantytown. Sie treffen sich in dem
Keller der alten Sullivanschen Plantage, die halb abgebrannt ist.«
»Danke.
Ich reite schnell hin. Wenn die Yankees herkommen, wissen Sie alle von nichts.«
Im Nu war
er verschwunden, und sein schwarzer Mantel verschmolz mit der Nacht. Sie konnten
kaum begreifen, daß er wirklich dagewesen war, bis sie den Kies stieben und den
tollen Hufschlag eines davongaloppierenden Pferdes hämmern hörten.
»Die
Yankees kommen?« schrie Pitty. Sie brach auf dem Sofa zusammen, allzu
verängstigt, um zu weinen.
»Was soll
das alles? Wovon sprach er denn eigentlich? Wenn ihr es mir nicht sagt, werde
ich verrückt!« Scarlett packte Melanie und schüttelte sie so ungestüm, als
wollte sie die Antwort mit Gewalt aus ihr herausschütteln.
»Wovon er
sprach? Davon, daß du wahrscheinlich Ashleys und Franks Tod verschuldet hast!«
Trotz der Todesangst klang es wie Triumph in Indias Stimme. »Laß Melly in Ruhe,
sie fällt gleich in Ohnmacht.«
»Nein, das
tue ich nicht«, flüsterte Melanie und hielt sich an der Stuhllehne fest »Mein
Gott, ich verstehe nichts! Ashleys Tod! Bitte, sag mir doch ... «
Wie eine
rostige Türangel knarrte Archies Stimme in Scarletts Worte hinein:
»Hinsetzen!«
befahl er kurz. »Nehmen Sie die Arbeit wieder auf und sehen Sie alle aus, als
sei nichts geschehen. Wer weiß, ob die Yankees nicht seit Sonnenuntergang ums
Haus herumspionieren. Hinsetzen, sage ich, nähen!«
Zitternd
gehorchten sie, und sogar Pitty nahm mit fliegenden Fingern eine Socke zur
Hand, während sie mit den Augen eines verängstigten Kindes im Kreise
herumforschte.
»Wo ist
Ashley? Was ist mit ihm, Melly?« begann Scarlett wieder.
»Und dein
Mann? Für ihn interessierst du dich wohl nicht?« Indias bleiche Augen glühten
in wilder Bosheit, während sie das
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