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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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mit möglichst wenig Worten und ohne Aufregung zu erledigen
sei.
    »Geh, setz
dich in den Wagen. Peter kann dich heute abend bis Rough and Ready fahren, bis
zum Morgen kannst du dich im Walde verstecken und dann mit dem Zug nach
Jonesboro fahren, das ist sicherer ... Komm, Liebling, laß das Weinen! Nun ist
alles überstanden, und eigentlich ist dir ja gar nichts geschehen. Miß Pitty,
könnte ich wohl Ihr Riechsalz bekommen? Mammy, hol Miß Scarlett ein Glas Wein.«
    Scarlett
war von neuem in Tränen ausgebrochen, diesmal in Tränen der Wut. Sie erwartete
Trost, Empörung und Rachedrohungen. Ihr wäre sogar lieber gewesen, er hätte sie
tüchtig ausgescholten und gesagt, gerade vor solchen Vorfällen habe er sie ja
immer gewarnt. Statt dessen tat er die Gefahr, in der sie geschwebt hatte, als
etwas Geringfügiges ab! Natürlich war er liebevoll und zart mit ihr, aber
offenbar nicht recht bei der Sache, als hätte er etwas viel Wichtigeres im
Kopf.
    Und nun
entpuppte sich dieses unerhört Wichtige als eine kleine politische Versammlung!
    Sie wollte
ihren Ohren nicht trauen, als er ihr sagte, sie solle sich umziehen und
fertigmachen, damit er sie für den Abend zu Melanie hinüberbringen könne. Dabei
konnte er sich doch denken, wie sehr das Erlebnis sie mitgenommen hatte und wie
wenig Lust sie verspürte, bei Melanie zu sitzen, während ihr müder Körper und
ihre empörten Nerven nach der Entspannung unter der warmen Bettdecke schrien,
nach einem heißen Ziegelstein, der ihr die Füße erwärmte, und einem heißen
Glühwein, der ihre Ängste einschläferte. Wenn er sie wirklich liebte, hätte ihn
gewiß nichts von ihrer Seite vertreiben können. Er wäre zu Hause geblieben,
hätte ihr die Hand gehalten und ihr immer wieder von neuem versichert, daß es
seinen Tod bedeutet hätte, wenn ihr etwas zugestoßen wäre. Das sollte er aber
auch zu hören bekommen, wenn er heute abend spät heimkehrte und sie mit ihm
allein war.
    Melanies
kleines Wohnzimmer sah so friedlich und heiter aus wie immer abends, wenn Frank
und Ashley abwesend waren und die Frauen sich dort mit ihrer Näharbeit
zusammenfanden. Das Kaminfeuer gab Wärme und Freundlichkeit. Die Lampe auf dem
Tisch goß ihren ruhigen gelben Schein über die vier glatten Scheitel, die über
die Näharbeit gebeugt waren. Vier Röcke bauschten sich züchtig, und acht kleine
Füße ruhten zierlich auf niedrigen Schemeln. Durch die offene Tür des
Kinderzimmers drangen die ruhigen Atemzüge Wades, Ellas und Beaus. Archie saß
auf einem Hocker am Kamin, mit dem Rücken gegen das Feuer, die Backe vom Tabak
ausgeweitet, und schnitzte emsig an einem Stück Holz. Der Gegensatz zwischen
dem schmutzigen behaarten Alten und den vier zierlichen und gepflegten Damen
war so groß wie zwischen einem bösen alten Wachhund und vier jungen Kätzchen.
    Melanies
sanfte Stimme verbreitete sich mit leiser Entrüstung über die neuesten
Zänkereien bei den Harfnerinnen. Die Damen hatten sich mit dem Herrenklub
>Frohsinn< nicht über das Programm ihres nächsten Vortragsabends einigen
können und am Nachmittag Melanie mitgeteilt, sie wollten aus dem Musikzirkel
ganz ausscheiden. Melanie hatte all ihre diplomatische Kunst aufbieten müssen,
um sie zu einem Aufschub zu bewegen.
    Scarlett
hätte in ihrem überreizten Zustand schreien mögen: »Ach, die verdammten
Harfnerinnen!« Sie wollte von ihrem schrecklichen Erlebnis sprechen und barst
vor Begierde, es in allen Einzelheiten zu erzählen, um die eigene Angst damit
zu beruhigen, daß sie die andern ängstigte. Sie hätte so gern erzählt, wie
tapfer sie sich benommen habe, nur um sich durch den Klang ihrer eigenen Worte
davon zu überzeugen, daß sie es wirklich gewesen war. Aber sobald sie darauf zu
sprechen kam, steuerte Melanie jedesmal die Unterhaltung gewandt auf andere,
harmlosere Gebiete. Das reizte Scarlett nahezu unerträglich. Sie waren ebenso
gemein wie Frank.
    Wie
konnten die drei nur so ruhig und gelassen dasitzen, wenn sie einem so furchtbaren
Schicksal nur mit knapper Not entronnen war. Sie erwiesen ihr nicht einmal die
einfachste Höflichkeit: zuzuhören, wenn sie sich den Schrecken von der Seele
reden wollte.
    Die
Ereignisse des Nachmittags hatten sie heftiger erschüttert, als sie sich selbst
eingestehen mochte. Sobald sie das böse schwarze Gesicht, das aus dem Schatten
des dämmerigen Waldwegs sie anstarrte, wieder vor sich sah, begann sie zu
zittern. Wenn sie an die schwarze Tatze auf ihrer Brust dachte und was
geschehen

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