Mari reitet wie der Wind
mich darin aus. Meine Mutter ha t mir alles beigebracht. Sie hat sich auch um meinen Vater gekümmert, wenn er gestürzt ist. E r war Kunstreiter bei Bouglione«, setzte sie hinzu . Der verletzte Junge riss bewundernd die Auge n auf, als sie den Namen der bekanntesten Zirkusfamilie Europas nannte . »Die Schmerzen sind weg!«, stellte er verblüff t fest . Er wollte sich aufrichten, doch Lola hielt ihn zurück . »Nein, du darfst dich jetzt nicht bewegen. Dei n Fuß braucht Ruhe. « Sie lächelte Lukas an . »Er wird bald wieder reiten können. « »Meine Mutter hat heilende Hände«, rief Mar i stolz . Lukas nickte nachdenklich . »Ja, das sehe ich wohl. «
14. Kapitel
Auch am nächsten Tag war Mari wieder beim Zirkus. Sie half den Stallburschen die Pferde abzureiben, zu bürsten und zu tränken. Sie verteilte Gerste und Hafer zum Fressen, warf Schüttstroh und trockenen Mist auf den Boden. Später aß sie im Kantinenzelt, mit den Artisten, Stallburschen und Arbeitern. Zu dem Zirkus gehörten ein Dutzend Kinder aller Hautfarben, die fast alle reiten konnten und mit den Pferden lebten wie mit Freunden. Doch so gut wie Mari ritt kein anderes Kind. Mari hörte zufällig, wie Lukas zu Fanny sagte: »Die Kleine reitet wie der Wind.« »Und ihre Mutter arbeitet wie eine Ärztin«, erwiderte Fanny. »Das ist außergewöhnlich.« Als sie merkten, dass Mari zuhörte, wandten sie sich ab und sprachen von etwas anderem. Doch am Nachmittag teilte ihr ein Stallbursche mit, dass Lukas sie mit ihrem Pferd in der Manege erwartete. Diesmal ließ er Paloma an einer Leine traben. »Im Zirkus gibt es besondere Dinge, auf die wir achten müssen«, erklärte er Mari. »Selbst mit geschlossenen Augen musst du wissen, was Palo ma tun wird, ob sie entspannt oder nervös ist. Du musst ihren Rhythmus bestimmen, jede Zuckung ihrer Muskeln spüren. An die Zuschauer darfst du niemals denken. Aber du wirst diese Dinge schnell lernen.« Mari fragte sich nicht, warum Lukas seine Zeit mit ihr vergeudete. Sie empfand ein wunderbares Glücksgefühl, während Paloma unermüdlich und graziös ihre Kreise zog. Der Schimmel trabte regelmäßig, willig, mit leisem Schnauben. Lukas hielt die Leine in seinen gelenkigen Händen. Die kleine Peitsche benutzte er nur, um den Rhythmus anzugeben. Manchmal fuhr er mit dem Riemen über Palomas Flanken, als wollte er sie streicheln. Lukas ließ die Stute gerade galoppieren, als ein Stallbursche in die Manege kam. »Da ist ein Mann, der Sie sprechen will. Ein Gardian.« Lukas betrachtete ihn uninteressiert. »Wir sind beim Training.« »Er sagte, es sei dringend.« Lukas warf die Leine auf den Boden. Das Pferd ging im Schritt. Maris Herz klopfte zum Zerspringen, als Gaston das Zelt betrat. Er warf ihr einen Blick zu, der alles andere als freundlich war. Mari wollte ihn fragen, wie er erfahren hatte, dass sie hier war, doch Gaston kam ihr zuvor.
»Deine Mutter hat mir alles erzählt. Wie geht es dir? Keine Schmerzen mehr?« Mari schüttelte den Kopf. »Ich bin gekommen, um das Pferd zurückzuholen«, sagte Gaston zu Lukas. Dieser schlenderte gemächlich auf ihn zu. »Sie arbeiten für Marcel Aumale, nehme ich an?« Gaston nahm die Zigarette, die Lukas ihm anbot. »Ich bin der Verwalter. Es tut mir leid, dass die Kleine Scherereien macht. Ich verstehe ja, dass sie an dem Tier hängt, aber es gehört ihr eben nicht. Eine unangenehme Geschichte. Der Chef will das Pferd für sich selbst. Daran ist nichts zu ändern.« Lukas riss ein Streichholz an und gab Gaston Feuer. »Offenbar versteht er nicht viel von Pferden«, sagte er kühl. Gaston zuckte mit den Schultern. Lukas fuhr fort: »Ich kenne den Mann. In Avignon hat er Betonbunker gebaut und die Aussicht kaputt gemacht. Schade.« Gaston stieß den Rauch durch die Nase. »Er sitzt auf seinem Geld.« »Bequemer als auf einem Sattel, nehme ich an.« Gaston zeigte sein seltenes Lächeln. Dann wurde sein Gesicht wieder finster.
»Er will das Tier zurückhaben. Oder er erstatte t Strafanzeige. « »Gegen die Kleine? « »Nein, gegen ihre Mutter. « Lukas schnalzte verächtlich mit der Zunge . »Schämt er sich nicht? « »Mit Geld kauft man alles. « »Aber nicht die Zuneigung eines Tieres. « Gaston verzog das Gesicht. »Nein. Aber ic h kann ihm diese Illusion verschaffen. Dafür bezahlt er mich. « Lukas schürzte die Lippen. »Tja, man hat nich t immer die Wahl. « Ein Schweigen folgte. Schließlich seufzte Gaston . »Steig ab, Mari. Ich muss das Pferd jetzt mitnehmen.
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