Maria, ihm schmeckts nicht!
großes Mutter-mal im Gesicht und sieht aus wie Dumbo, der Ele-
fant. Danach kommt der Priester Alfredo vorbei und
betet mit Nonna Anna und den Tanten, die inzwi-
schen ebenfalls eingetroffen sind. Nonno Calogero
bleibt, wo er ist. Er wird nicht weggeschafft, sondern liegt nach wie vor auf seiner Bettseite, zugedeckt bis zum Kinn, unrasiert und mit einem etwas schlecht
gelaunten Zug um die Lippen.
Allmählich verbreitet sich die Kunde von seinem
Ableben. Ich lerne heute mindestens vierzig Marios
kennen und noch einmal dieselbe Menge Antonios.
Es handelt sich dabei um Angehörige der beiden
Zweige der Familie, die so groß ist, dass alle
Mitglieder mit Telefonanschluss glatt fünf Seiten im örtlichen Telefonbuch ausmachen. Es gibt ungefähr
zwei Seiten Marcipane, dazu eine Seite Marcipano
(aufgrund eines verhängnisvollen Tippfehlers beim
Einwohnermeldeamt, von dem später noch die Bede sein wird) und noch einmal zwei Seiten Carducci.
Weder die Marcipanes noch die Carduccis haben
ihre zahlenmäßige Überlegenheit jemals in politische Wahlerfolge umgemünzt. Nie hat einer von ihnen
ein öffentliches Amt bekleidet. Dennoch kennt jeder Einwohner der Stadt die beiden Familien.
Diese sind einander seit knapp dreißig Jahren spinnefeind, und das hat einen Grund, der nur unter größter Konzentration aufs Wesentliche erzählt werden kann; Einer von den vielen Antonio Marcipanes
im Ort hat einen Sohn, der heißt Benito. Benito ist, euphemistisch ausgedrückt, ein bisschen doof, weil
er als Kind einmal rückwärts von der campobasso-
schen Burgmauer gefallen ist und auf dem Hinter-
kopf landete. Ebendieser Benito Marcipane klaute
einmal im jugendlichen Alter ein Auto. Wem dieses
Auto gehörte, war ihm egal, wie das naturgemäß bei
Autodieben ist, denn der Diebstahl ist ja nicht
persönlich gemeint. Es wäre jedoch besser gewesen,
wenn es ihn interessiert hätte, denn in Campobasso
ist die statistische Wahrscheinlichkeit groß, einen Verwandten zu bestehlen, was hier der Fall war,
denn das Auto – ein Fiat 500 – gehörte seinem Onkel, einem von vielen Mario Carduccis, der den Diebstahl auch noch beobachtete. Also ging Mario Carducci zu
Benitos Vater und wollte sein Auto wiederhaben.
Benito hatte es aber leider schon verkauft, und zwar an einen weiteren Carducci, der natürlich nicht
wusste, dass er gerade das Auto seines Cousins
Mario erworben hatte.
Bis hierhin ist die Geschichte noch ganz einfach
und hätte auch irgendwie gelöst werden können, aber Antonio Marcipane verlangte nach einem Beweis
gegen seinen Sohn Benito, der die Tat zwar unter An-drohung von Schlägen gestanden hatte, allerdings wie gesagt ein bisschen plemplem war, so dass sein
Geständnis in den Augen seines Vaters nicht zählte.
Antonio Marcipane forderte deshalb die beiden
Carduccis auf, doch erst einmal zu klären, wem der
Fiat denn nun gehöre, denn immerhin habe der eine
Carducci ja dafür bezahlt, und wo stehe eigentlich
geschrieben, dass der andere Carducci überhaupt
der rechtmäßige Besitzer sei? Und überhaupt, immer
würde sein kleiner Benito verdächtigt, heilige Mutter Gottes, seht ihn euch doch nur mal an, der Junge ist doch zu blöd, um in den Krieg zu ziehen und erst
recht, um Auto zu fahren, geschweige denn eines zu
stehlen, und damit basta.
Mario Carducci geriet darüber derart in Wut, dass
er Antonio einen Gangster und seinen Sohn einen
dreibeinigen Hund nannte. Seitdem haben die bei-
den Familienzweige praktisch kein Wort mehr mit-
einander gewechselt. Das ist natürlich in einer Stadt wie Campobasso nicht immer ganz einfach. Wenn
zum Beispiel ein Angehöriger des Carducci-Clans in
den Bus steigt und eine Fahrkarte beim Fahrer
erwerben will, der jedoch ein Marcipane ist, dann
darf der Carducci umsonst mitfahren, weil es ihm
nicht zuzumuten ist, einem Marcipane sein Fahrtziel zu nennen. Umgekehrt verwalten die Carduccis, von
denen zwei im Finanzamt sitzen, nur die Buchstaben
A-K und R-Z, um niemals auch nur zufällig mit
einem Marcipane konfrontiert zu werden. Die Marci-
panes behaupten auch, dass die Carduccis allesamt
verblödet seien, während die Carduccis die Marci-
panes geizig nennen, was aber mindestens im Falle
meines Schwiegervaters nicht stimmt.
Tante Lidia ist zwar eine Marcipane, aber sowohl
bei der einen wie der anderen Sippe in Ungnade ge-
fallen, bloß weil sie zwischen den Lagern vermitteln wollte und die Ältesten beider Familien zu sich nach Hause
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