Maria, ihm schmeckts nicht!
zum Essen lud, ohne ihnen vom jeweils anderen etwas zu sagen. Beinahe wäre es in ihrer Woh-
nung zu einem Blutbad gekommen, wenn nicht ein
Nachbar die Polizei gerufen hätte, die die Streithäh-ne voneinander trennte. Tante Lidia ist seitdem eine Schande für die ganze Familie.
Der Fiat 500 wurde übrigens in stillschweigendem
Einvernehmen einfach auf der Straße stehen gelas-
sen. Angeblich gab es noch einen Anspruchsteller,
nämlich einen Handelsvertreter aus Foggia, der
behauptete, Mario Carducci habe das Auto ihm
gestohlen; aber dieser Mann ist wohl eine Erfindung der Marcipanes. Jedenfalls meldete er sich nie bei der Polizei. Das Auto verschwand dann eines Tages, wie
so viele Dinge in Italien einfach verschwinden, wenn man sie nur lange genug irgendwo abstellt.
Wir stehen also in der Wohnung von Calogero Marci-
pane und Männer mit staubigen Haaren und kratzi-
gen Wangen paradieren langsam an mir vorbei. Geben
mir die Hand, küssen mich schlecht rasiert auf die
Wange und raunen mir ihre Vornamen zu: »Andó«,
»Mar«. Danach gehen sie langsam ins Schlafzimmer
und werfen sich auf den toten Opa, küssen die Nonna, die Tanten mit den Kopftüchern und verschwinden
wieder. Die Schlange der Wartenden reicht bis auf die Straße hinunter – und alle sind auf irgendeine Weise mit Calogero Marcipane verwandt.
Drei Tage später findet die Beerdigung statt. Das
steht auf den Zetteln, die zu Dutzenden an Hauswän-
den überall in der Stadt kleben, sogar im Treppen-
haus von Nonna Anna. Auf der Todesanzeige ist ein
Foto zu sehen, das Opa Calogero in Uniform zeigt. Es ist sicher schon fünfundfünfzig Jahre alt.
Leicht in Panik, durchsuche ich unser Gepäck nach
trauerkompatibler Kleidung, aber ich habe natürlich nichts eingepackt, womit man zu einer Beerdigung gehen könnte. Ich habe nur eine lange Hose dabei, an-
sonsten kurze Ware, manches ist bunt, keine Krawatte, nicht einmal ein Jackett. Sara findet, dass sie sowieso ein schwarzes Kleid braucht, das man möglichst
hinterher auch zu anderen Gelegenheiten tragen
kann, und so gehen wir in die Stadt und kleiden uns bei Benetton ein, weil man jetzt auch nicht übertreiben muss. Ich kaufe einen schwarzen Anzug mit einem
schwarzen Hemd und einer schwarzen Krawatte für
260 000 Lire.
Wie sich herausstellt, bin ich damit ziemlich over-
dressed, weil wirklich niemand in der italienischen Provinz ernsthaft auf die Idee kommt, mittags im
Hochsommer bei vierzig Grad Hitze einen Anzug an-
zuziehen, geschweige eine Krawatte. Die Marios und
die Antonios erscheinen daher allesamt in schwarzen Hosen und kurzärmeligen weißen Hemden.
Immerhin lobt mich mein Schwiegervater: »Siehst
du gute aus, meine liebe Jung. Kenne die hier gar
nichte, so eine Sinn für die Eleganz.« Seine Frau und er haben auf Neuanschaffungen verzichtet, aber ihre Garderobe unter Zuhilfenahme von großformatigen
Sonnenbrillen der Situation angepasst.
Gegen zwei Uhr mittags wird der Sarg, der schwarz
glänzt wie ein Konzertflügel, auf den Schultern von drei Marios auf der einen und drei Antonios auf der anderen Seite durch die Stadt getragen. Zunächst geht es in die nahe Kirche, wo gar nicht alle hineinpassen.
Einige Dutzend Trauergäste bleiben vor der Tür und
verfolgen, filterlose Zigaretten rauchend, die Trauerfeier, die über knisternde Lautsprecher nach draußen übertragen wird. Ich sitze zwischen Sara und Ursula und höre der Predigt zu, die ich nicht verstehe, die mich aber dennoch ergreift, weil es eben einen uner-klärlichen, aber dramatischen Unterschied gibt zwi-
schen einem auf Deutsch und einem auf Italienisch
abgehaltenen Gottesdienst. Man kann schon verste-
hen, dass die Wiege des Katholizismus in Italien steht.
Dann kommt der Sarg auf einen Anhänger, der wie-
derum von je einem Mario und einem Antonio gezo-
gen wird. Der Marsch zum Friedhof dauert in Antonios Zählweise ungefähr so lange, wie man braucht, um
eine Kleinigkeit zu essen und Gemüse einzukaufen.
Ein Kilometer im Gänsemarsch bei brütender Hitze.
Ich fühle mich wie Lawrence von Arabien in der
Wüste, aber der hatte wenigstens weiße Klamotten an.
Der Zug bewegt sich nicht nur aus Trauer so lang-
sam, sondern auch, weil zu dieser Zeit viele Autos
unterwegs sind. Am Straßenrand stehen Passanten,
und irritiert nehme ich zur Kenntnis, dass Italiener eine ganz eigene Art haben, ihr Mitgefühl mit dem
Toten zu bezeugen. Männer greifen sich nämlich in
den Schritt, wenn sie
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