Maria, ihm schmeckts nicht!
einen Sarg sehen. »Sie wollen damit zum Ausdruck bringen, dass sie froh sind,
noch am Leben zu sein«, flüstert Sara.
Am Friedhof angekommen, Öffnet man den Sarg-
deckel in einer kleinen kühlen Aussegnungshalle.
Alle sollen sich noch einmal von Calogero verab-
schieden. Er trägt sein feines Jackett nebst Schirm-mütze sowie Hosenträger und ist bis zur Brust mit
einem weißen, glänzenden Tuch zugedeckt. Nonna
hat ihm sein Klappmesser mitgegeben. Mit diesem
Messer hat er immer seine Salami geschnitten und
im Sommer Pfirsiche in seinen kalten Rotwein. Als
gebürtiger Sizilianer bestand er darauf, immer und
überall sein eigenes Messer zu benutzen, auch im Restaurant. Als er einmal ins Krankenhaus musste,
warf er das Besteck nach der Krankenschwester und
zückte sein Messer, um damit seinen Pecorino zu
schneiden. Es ist so gefährlich, dass Nonna Anna Te-safilm darum bindet, damit es nicht aufspringt, als sie es ihm in die Brusttasche steckt.
Sie hat ihm auch seinen Gehstock dazugelegt,
schließlich kann man nie wissen, was die Toten vor-
haben. Diesen Stock hatte er in den letzten Monaten seines Lebens nicht mehr zum Gehen benutzt, sondern ausschließlich zum Drohen. Außerdem liegen
noch seine Spielkarten im Sarg, denn wer weiß, vielleicht findet er im Himmel jemanden, der eine Partie scopa mit ihm spielen will. Sara weint.
Nachdem alle maßgeblichen Angehörigen noch ein-
mal »Auf Wiedersehen« gesagt haben, wobei viele
seine Stirn berühren, kommen zwei Schreiner und
schrauben den Sargdeckel mit Akkuschraubern zu.
Immerhin Inbus, achtzehn Stück. Dann biegt ein Ga-
belstapler um die Ecke und die Marios und Antonios
wuchten den Sarg auf die Gabel. In gemächlichem
Tempo folgt die Gemeinde dem tuckernden Gefährt
bis zum Grab. Die ganze Zeit kommt mir der Sarg so
kurz vor, und nun erkenne ich den Grund: Opa Calo-
gero soll in einer Art Schließfach in einer Wand aus Beton beigesetzt werden. Erdbestattungen gibt es
hier nicht.
Es gibt schmale Fächer, in welche die Toten längs
hineingeschoben werden. Diese Gräber sind nicht so teuer, machen aber auch nicht viel her. Außerdem
gibt es noch solche, in die die Verblichenen quer
hineinkommen. Und es gibt solche, die zwar breit,
jedoch nicht breit genug sind. Gut, Herr Marcipane
war kein Riese, aber doch größer als der Sarg, oder täusche ich mich da? Ist Opa Calogero am Ende nicht mehr komplett? Ich habe es bis heute nicht gewagt,
diese Frage zu stellen.
Nachdem die Arbeiter den kleinen Sarg in die Ni-
sche gekantet haben, was nicht ohne ein paar Lack-
platzer geht, sagt der Priester noch ein paar schöne Worte, man betet. Dann taucht ein freundlicher Bau-arbeiter auf. Er raucht und schiebt eine Schubkarre mit Zement vor sich her – er grüßt knapp und
beginnt damit, den Opa einzumauern. Dabei klatscht
der Zement gegen den Sarg,
Wir schauen schweigend zu und irgendwann sagt
Egidio anerkennend: »‘ne schöne Mauer, die der Opa
da bekommt, ’ne wirklich schöne Mauer.«
Das ist wohl das größte Kompliment, das du hier
posthum kriegen kannst.
So etwas wie einen Leichenschmaus gibt es zum
Glück nicht, jedenfalls nicht in meiner Familie. Als die Mauer zu ist, gehen wir nach Hause.
Eine Stunde nach der Bestattung ihres Mannes
hat Nonna Anna wieder ihre Kittelschürze an und
kocht einen Kaffee für Antonio, Ursula und mich.
Die Toten spielen in ihrem Leben eine wichtigere
Rolle als die Lebenden, mit deren Sprache und deren Vorstellungen sie nichts mehr verbindet. Früher sei sogar die Zukunft besser gewesen, sagt sie.
Wir bleiben noch ein paar Tage bei Nonna Anna,
die nicht alleine sein mag. Immerhin war sie seit dem Krieg nicht mehr länger als sechs oder sieben Stunden ohne ihren Calogero, der selbst früher, als er
noch arbeitete, immer zum Mittagessen nach Hause
kam. Sie sagt, dass sie absolut keine Lust habe, jetzt noch lange ohne ihn zu sein. Das versetzt die Tanten in Sorge, aber Nonna Anna gelobt, sich nicht zu versündigen.
Dann erzählt sie eine Geschichte, die sich genau so auf dem Friedhof von Campobasso abgespielt haben
soll:
Es waren einmal zwei Nachbarinnen, die konnten
einander nicht ausstehen. Die eine hieß Rosalia und die andere Mirella. Mirella hatte ihren Mann Pasquale im Krieg verloren. Er war einfach nicht zu-
rückgekehrt. Rosalia behauptete zwar, dies bedeute
keineswegs, dass Pasquale auch wirklich tot sei, denn niemand könne sich vorstellen, freiwillig zu einer
Frau wie
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