Maria, ihm schmeckts nicht!
miesepetrig. Der Gedanke an eine größere Feier mit all diesen Marcipanes macht mir
ein bisschen Angst. Außerdem weiß ich schon jetzt,
wer das Gepäck tragen darf.
»Jetzt komm, das wird lustig.«
Sara ist bereits in Aufbruchstimmung, in solchen
Momenten kann man nicht mit ihr diskutieren. Au-
ßerdem hat sie Recht. Das wird bestimmt sogar sehr
lustig.
»Was sollen wir ihnen denn schenken?«, fragt Sara.
»Wir haben doch noch diesen tollen Porzellan-
schwan«, überlege ich laut. Den Vorschlag finde ich gut. Der Schwan wohnt in unserem Keller. Er ist ein ganz armer Schwan, im Moment liegen Schrauben
und ein paar Dübel in seinem Rückenloch. Nie, nie,
nie haben wir Bonbons hineingefüllt.
»Bei dir piept’s wohl«, sagt Sara. »Wir können
denen unmöglich deren eigenes Geschenk zurück-
schenken. Außerdem haben die bestimmt schon ei-
nen Porzellanschwan.«
Wir werden uns also etwas anderes überlegen
müssen.
Am Abend ruft Antonio an. Er ist außer sich vor
Begeisterung. Zudem hält er Paolo für eine wirklich gute Wahl.
»Das iste eine gute Mann«, sagt er und fügt mit
Kennerstimme hinzu: »Paolo iste der Sohne von
Coop in Italia.«
Das wusste ich noch gar nicht. Später klärt mich
Sara darüber auf, dass Paolo keineswegs der Sohn
der Coop-Kette in Italien ist, sondern der Sohn des örtlichen Supermarktbesitzers. Paolo ist dort zu-ständig für den Wareneingang und die Befüllung der
Regale. Ein netter Typ ist er aber trotzdem.
Ein paar Wochen später ziehen wir los, um ein Ge-
schenk zu kaufen. Sara hat sich vorher mit Tante
Maria beraten. Die votiert für ein Frühstücksgeschirr
– leichte Aufgabe. Wir entscheiden uns für ein bizarres Ensemble mit Harlekin-Dekor. Auf den Tellern
springen lustige Clowns herum, die Tassen sind mit
Luftballons verziert. Wenn ich auf so etwas frühstü-
cken müsste, würde ich gleich anschließend wieder
ins Bett gehen, um mich von dem Stress zu erholen.
Diese Crazyteller sind so scheußlich, dass Sara ab-
solut sicher ist, dass Pamela und Paolo sie lieben
werden. Und das ist ja wohl die Hauptsache. Das Ge-
schenkpapier ist rosa und es steht in vielen Sprachen
»Herzlichen Glückwunsch« darauf.
Wir machen uns also auf die Reise und treffen an
einem schönen Maiabend in Campobasso ein.
Wie schon bei unserem ersten Besuch schlafen wir
im Gästezimmer von Nonna Anna. Bevor sie öffnet,
hört man sie innen an den Sicherheitsschlössern her-umnesteln. Es dauert eine Ewigkeit, bis sich die Tür öffnet und sich ihr kleiner Kopf aus dem Dunkel der Wohnung hervorschiebt. Sie kneift mich zur Begrü-
ßung heftig in die Wange.
Seit der Beerdigung ihres Mannes scheint sie ge-
schrumpft zu sein. Sie geht gebückt und hat eine
Vielzahl von Klammern und Klämmerchen in ihrem
grauen Haar. Die Wohnung verlässt sie kaum noch.
Keine Lust, knurrt sie. Im Flur steht ein Foto von Calogero, neben dem ein Kerzlein mit dem Konterfei
Padre Pios sakral flackert. Padre Pio hat viele Wunder getan, doch Calogero ist nicht wieder auferstanden. Es ist traurig, aber das einzige Wunder, auf dass sich Nonna Anna wirklich freuen würde, wäre das
Wunder des Sterbens. Einmal pro Woche wird sie von
Onkel Egidio zu Calogeros Grab gefahren, wo sie die Blumen auswechselt und mit der Hand über das
Foto ihres Mannes streichelt. Der Rest der Welt, der sich auch hier in Campobasso Satellitenschüsseln ans Haus schraubt und in winzige Telefone schnattert,
kann ihr gestohlen bleiben.
Nonna Anna bemüht sich sehr darum, dass es uns
bei ihr gefällt. Deshalb hat sie die wichtigsten Fami-lienmitglieder angerufen und ihnen gesagt, dass wir kommen, damit wir gleich am ersten Abend alle zusammen essen können. Auf dem Herd dampft ein
großer Topf, es gibt Minestrone.
Bald sind alle da, die laut und wichtig sind: Marco, Gianluca und die Kinder, Tante Maria, Onkel Egidio, Matteo und ein paar weitere, die uns zur Begrüßung
beiläufig küssen, als seien Sara und ich nur schnell aus dem Nachbardorf vorbeigekommen. Die Familie sieht sich oft, eigentlich mehrmals pro Woche in unterschiedlicher Besetzung. Treffpunkt ist immer
Nonna Annas Wohnung, auch wenn ihr der Trubel
mitunter schwer auf die Nerven zu gehen scheint. Da sich nun alle so oft sehen, ist jeder extrem gut infor-miert. Man erzählt sich Geschichten und anschlie-
ßend wird ferngesehen oder über die Lottozahlen
diskutiert.
Das beherrschende Thema in meiner Familie an
diesem Abend ist das
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