Maria, ihm schmeckts nicht!
zumindest in meiner Familie würde so ein Vorwurf
verpuffen. Ich glaube, niemand würde verstehen,
was man damit meint, wenn man sagt: »Du könntest
dich ruhig mal nützlich machen.« Sobald man sich
an den seltsamen Rhythmus des Nichtstuns und
Nirgendwoseins gewöhnt hat, lässt es sich darin gut leben. Es klingt zwar nach großer Langeweile, doch
es ist nicht langweilig, sondern meditativ, und das ist ein großer Unterschied.
Nach eineinhalb Wochen bin ich zu ebenso wenig
nutze wie der Rest meiner Familie. Wenn die Alten
mit den Kindern vom corso nach Hause marschieren, gehen Marco, Gianluca, Barbara, Sara und ich in die beiden Clubs, die der Ort zu bieten hat. Das sind aber keine Diskotheken im herkömmlichen Sinn, sondern
eher Taschengeldablieferungsstationen, in denen
man flippern und kickern kann. Im hinteren Teil gibt es eine Bar und eine Tanzfläche und manchmal gibt
es auch was aufs Maul. Da ist dann immer ein großes Hallo unter den italienischen Jugendlichen.
Wir gehen fast nie essen, weil wir uns selbst genug sind. Zudem steht Toni auf dem unverrückbaren
Standpunkt, dass italienische Gastronomen Verbre-
cher seien – ganz im Gegensatz zu den Deutschen
versteht sich, denn bei denen stimmt »die Verhältnis-se vonne Preisleistung«.
Leider gibt es in ganz Termoli kein einziges deut-
sches Lokal, nur einen McDrive, aber da will nie-
mand außer Toni hin. Also einigt man sich doch auf
einen Italiener. Antonio Marcipane benimmt sich
beim Essengehen, als sei er der Aufsichtsratschef
eines multinationalen Konzerns. Vollkommen klar,
dass er als Erster ins Lokal geht, um sich den dor-
tigen Untergebenen vorzustellen. Sein Name sei
Marcipane und er habe seine Familie dabei. Ob man
es hinkriegen würde, sie alle mit Speisen und Ge-
tränken zu versorgen, bitte schön.
Das macht Eindruck. Stühle und Tische werden hin
und her gerückt, und dann setzt sich meine Familie, was eine Weile dauert, weil immer erst einmal
darüber diskutiert werden muss, wer denn nun wo
Platz nimmt. Tante Maria kann nämlich nicht mit
dem Rücken zur Wand sitzen, das ist ihr zu ungemüt-
lich. Onkel Raffaele hingegen will nur mit dem Rü-
cken zur Wand sitzen, weil er praktisch taub ist und Stimmen nur orten kann, wenn er weiß, dass hinter
ihm niemand sitzt. Mir ist es im Prinzip egal, wo ich sitze, aber ich möchte schon bei Sara sitzen, weil ich sonst keiner Unterhaltung folgen kann. Sara wiederum will in die Nähe ihrer Mutter und Ursula nicht an die Tür, wo aber Toni unbedingt sein muss, damit er die Küche im Auge behalten kann, was hier ja dringend vonnöten ist. Die andere Tante Maria findet den Platz gegenüber von Onkel Egidio zugig, und Marco
würde gerne irgendwo sitzen, wo er schnell aufste-
hen kann, wenn sein Telefonino klingelt. Gianluca
möchte den Platz neben Barbara, und wo die sitzen
will, weiß keiner, denn sie steht noch vor der Tür und telefoniert, so dass wir erst einmal warten müssen, bis sie endlich auftaucht. Die Kinder brauchen keine
Plätze, weil sie sowieso nicht still sitzen können.
Nach etwa einer halben Stunde hat sich der Trubel
allmählich gelegt, und noch bevor wir bestellt haben, leert sich auch schon das Lokal. Wir sind selbst den Italienern eine etwas unheimliche Truppe.
Antonio trägt nun die reichhaltige Karte vor und
fragt den Kellner bei jedem Gericht, ob es auch wirklich gut sei. Die Muscheln? Sind die gut? Das Lamm?
Gut? Ist der Tintenfisch gut? Nachdem ihm der Kell-
ner für jeden einzelnen Posten versichert hat, dass er delikat sei, hebt Antonio die Karte über den Kopf
und ruft triumphierend, hier seien wir richtig, hier sei alles gut.
Es ist dann auch tatsächlich alles gut, jedenfalls bis zum Kaffee. Nun gibt es zum ersten und einzigen
Mal Streit, und zwar zwischen meiner Frau und ich-
rem Vater, dem Aufsichtsratschef der internationalen Marcipane-Werke. Zuerst wundere ich mich noch,
dass Antonio den Kellner die ganze Zeit dazu drängt, sich zu uns zu setzen. Immer wieder spricht er ihn
an, doch der junge Mann schlägt es ihm ab, sein Chef habe es verboten. Sara erklärt mir, was das bedeutet: Wenn der Kellner sich zu einem setzt, muss er auch
eine Runde ausgeben. So gehört sich das. Wenn es
Antonio also gelingt, den Typ neben sich auf den
Stuhl zu ziehen, dann muss dieser elf Liköre raus-
rücken. Er will aber nicht. Und Sara auch nicht.
»Lass doch den Kerl in Ruhe!«, zischt sie ihren
Vater an.
»Wieso? Der iste doch
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