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Maria, ihm schmeckts nicht!

Maria, ihm schmeckts nicht!

Titel: Maria, ihm schmeckts nicht! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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durch einen kleinen Park und setzen uns schließlich auf eine Bank. Antonio nimmt den Hut ab und dreht die Krempe
    zwischen den Fingern.
    »Wo warene wir?«
    »Ich denke, bei den Mädchen?«
    »Immer gute Thema, wenn du weißte, was i mei-
    ne«, lächelt er und zeigt mir eine Batterie von
    Goldzähnen.

    Die Beinaheliaison mit Signora Bertone hatte ihr Gutes, denn Antonios Selbstbewusstsein gegenüber den
    Mädchen wuchs ins beinahe Unerträgliche, nachdem
    er seinen Freunden von dem Abenteuer, freilich in einer etwas aufgepeppten Version, erzählt hatte. Jetzt war nicht mehr nur Loredana eine leichte Beute, sondern auch die meisten anderen Mädchen, auf die er es absah. Als er seine Ausbildung zum Schlosser begann, hatte er nicht weniger als drei Freundinnen zur gleichen Zeit, was ihm organisatorisches Geschick und
    einige Finesse abverlangte. Jeden Tag fuhr er nach
    Frosolone, wo er seine Lehre absolvierte und eine
    gewisse Clara traf, die er im Bus kennen gelernt hat-te. Abends schlich er zum Haus der Baffones, um
    Giovannis Schwester Elvira heimlich Liebesschwüre
    zuzuflüstern, und das Wochenende gehörte Loredana,
    die an ihm hing wie ein Tintenfleck.
    Antonio hätte seine Pläne, diesen Ort zu verlassen, schon aus Bequemlichkeit aufgegeben, doch in ihm
    war eine Unruhe, die er sich nicht erklären konnte, ein Sehnen, das weder Clara noch Elvira oder Loredana hätten befriedigen können. Und Campobasso
    schon gar nicht. Wenn der Bus in Frosolone hielt,
    zwang er sich jedes Mal, dort auszusteigen und nicht einfach weiterzufahren, wohin es ihn auch verschlagen würde. Sechs Jahre lang sah er sich zum Ein-
    schlafen das Bild von New York an, das er sich übers Bett gehängt hatte.
    Er machte Zusatzausbildungen in technischem
    Zeichnen, belegte einen Englischkurs, begann neben-
    her eine zweite Ausbildung als Dreher, denn er wollte gut vorbereitet sein, wenn er eines Morgens den Bus Richtung Rom bestieg und einfach verschwand.
    Aber irgendwie konnte er sich nicht überwinden.
    Seine Geschwister zogen an ihm, sie brauchten ihn
    und das Geld, das er zu Hause ablieferte. Besonders Maria, die ihn durchschaute, obwohl er seine Pläne
    geheim hielt, flehte ihn an, zu bleiben. Sie sah ihm dann in die Augen und wusste, dass er eines Tages
    einfach gehen würde, denn er hielt ihrem Blick nicht stand.
    Schließlich sorgte die italienische Armee dafür,
    dass er dem Schicksal eines Lebens in Campobasso
    für immer entwich. Im Januar 1961 erhielt Antonio
    Post. Man befahl ihm, sich zur Musterung vorzustel-
    len, die Einberufung sei für Mai vorgesehen. Antonio erkundigte sich, ob er gegebenenfalls Matrose werden könne, doch es wurde ihm beschieden, er solle
    mit dem zufrieden sein, was man ihm bot. Bei der
    Musterung schauten sie in seine Augen, in seinen
    Mund, in seinen Arsch. Sie schubsten die Jungen in
    Reih und Glied, sie brüllten sie an, sie entehrten ihre Namen, indem sie sie absichtlich falsch aussprachen.
    Sie taten alles, was irgendwie nötig war, um Antonio endlich zur Flucht zu bewegen.
    Sein Geld reichte nicht einmal annähernd für
    Amerika. Und an ein Visum war nicht zu denken.
    Sofort wäre überprüft worden, ob es für den jungen
    Mann einen Einberufungsbescheid gab. Und wenn er
    sich nach Frankreich durchschlüge und von dort
    weiterreiste? Zu riskant, Deserteure wurden hart
    bestraft, wenn man sie auch nur in der Nähe einer
    Grenze antraf. Von Deutschland hatte er gehört, dass man dort ausländische Arbeitskräfte gebrauchen
    konnte und gut bezahlte. Man durfte dorthin ausrei-
    sen, wenn man die nötige Qualifikation hatte.
    Antonio musste sich beeilen. Im Mai sollte er ein-
    rücken, vorher musste er verschwinden. Allerdings
    war die Prüfung zum Dreher für Ende April anbe-
    raumt. Das reichte nicht, denn um sich für eine Stelle in Deutschland zu bewerben, musste man vorher im
    Besitz gültiger Papiere sein. Ihm blieb also keine
    andere Wahl als die Lüge.
    Er schrieb an den Auslandsdienst in Verona und
    stellte sich als Arbeitskraft zur Verfügung. Den
    geforderten Schein vergaß er einfach beizulegen.
    Auch seine Einberufung unterschlug er sicherheits-
    halber. Die Antwort kam innerhalb von wenigen
    Tagen. Eine Firma in Osnabrück/Deutschland habe
    Interesse an einem Dreher mit seinen Fähigkeiten.
    Die Abreise sei nach Überprüfung der Dokumente in
    Verona am 30. April. Er möge bereits am 29. April
    anreisen, für eine Unterkunft sei gesorgt. Diese dürren Worte ließen Antonios Herz rasen. Er

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