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Maria, ihm schmeckts nicht!

Maria, ihm schmeckts nicht!

Titel: Maria, ihm schmeckts nicht! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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jedoch durch seine
    hemmungslose Erotik in Bann: Tarzan mit Johnny Weissmuller Ein ungemein spannendes Werk, das
    Antonio und seine Freunde an einem Tag vier Mal
    sahen, weil sie sich nach der Vorführung unter den
    Sitzen versteckten und erst wieder zum Vorschein
    kamen, wenn die Wochenschau begann. In diesen
    Nachrichten sah man elegante Menschen in Mailand
    oder sogar Paris, Wunderländer, die USA hießen,
    große Schiffe, Flugzeuge, Sophia Loren bei einem
    Besuch in London und die hervorragenden Produkte
    der Automobilindustrie in Turin. Das war für
    Antonio bald wichtiger als der Hauptfilm, denn
    dessen Wunder waren nur erfunden, die Welt der
    Wochenschau, die gab es dagegen wirklich.
    Die größte Entfernung, die er bis dahin jemals
    zurückgelegt hatte – und die kam ihm schon
    ungeheuerlich vor –, war die von Campobasso nach
    Termoli, wo die inzwischen zehnköpfige Familie
    Marcipane einmal pro Jahr Urlaub machte, bis das
    Geld alle war.
    Antonios Sehnsucht reichte bis zum Mond, realis-
    tisch schien ihm aber nur Neapel. Und da konnte er
    auch gleich zu Hause bleiben, dachte er und träumte von Amerika und dem Reichtum, den er in der Wochenschau gesehen hatte, als man einen Beitrag über das Leben der Millionäre in New York zeigte. Sollten seine Freunde doch Schreiner, Schuster oder Brief-träger werden. Ihnen reichte es aus, rund um die
    Burgmauern nach Eidechsen zu suchen und diese
    mit der Hand zu fangen, um die Mädchen zu beein-
    drucken. Ihre Zukunft bestand darin, in der cantina um Geld zu spielen und dort billiges Bier zu trinken.
    Antonio sah neidisch auf Mauro, als dessen Eltern
    tatsächlich fortgingen und ihn mitnahmen, nach Ka-
    lifornien. Antonios Vater war dafür zu arm. Immerhin zogen die Marcipanes bald um, in eine trockene und
    helle Wohnung unweit von der Altstadt. Das war 1954.

    »Was ist eigentlich aus Mauro geworden?«, frage ich Antonio.
    »Der iste berühmte Architekte in Amerika, iste nie
    wieder zurückgekomme, sehr berühmter Mann iste
    der.«
    »Wie war das mit den Mädchen?«
    »Ach sooo, die Mädche. War eine schwierige
    Thema, molto difficile und delikat, aber gut.«

    Nachdem Antonio und seinen Freunden klar gewor-
    den war, dass ein Kino lediglich als Ort der Anbah-
    nung, niemals aber als Ort für die Vertiefung eines Verhältnisses taugt, schlossen sie sich den Sozialisten an, denn die organisierten Tanzabende. Die Schall-platten dafür besorgten sie auf verschlungenen We-
    gen aus Rom. Sie wurden in den Privaträumen eines
    Funktionärs der Sozialistischen Partei an jedem
    zweiten Samstag im Monat gespielt. Um in den
    Gemiss dieses Vergnügens zu kommen, musste man
    jedoch Mitglied werden, was Antonio und seine
    Freunde klaglos über sich ergehen ließen, zumal die-se Regel für Mädchen nicht galt und diese daher in
    annehmbarer Zahl zweimal pro Monat zum Tanzen
    kamen. Die Tanzschritte schaute man sich in der
    Wochenschau ab, wo sie dann und wann Berichte
    über amerikanische Rock-’n’-Roll-Stars brachten.
    Was Antonio aber mehr beschäftigte als seine
    mehr oder weniger vergeblichen Versuche, eine ge-
    wisse Loredana zu freien, war die ihn quälende Existenz von Signora Bertone. Sie wohnte auf dem Weg,
    den er täglich zur Schule zurücklegte, und nach der vorherrschenden Meinung aller männlichen Bewohner der Stadt war sie eindeutig die schönste Frau von ganz Campobasso.

    »Erinnerst du dich an die Bertone?«, ruft Antonio
    quer durch den Raum.
    Daniele steckt den Kopf aus einer Tür, die offenbar in eine kleine Küche führt, in der er seit geraumer Zeit zugange ist.
    »Oh, natürlich, sie ist gestorben, vor zehn oder elf Jahren. War ja eine uralte Frau. Sie hat mindestens zehn Burschen das Herz gebrochen. Und ihrem
    Mann noch dazu.« Seinen Worten nachhängend,
    schaut Daniele durch die Kartoffelchipstüten, die an seiner Bar an einem Ständer prangen.
    »Er war eine von die Bursche, musste wissen«,
    raunt Antonio und nickt heftig.
    »Was war denn mit der Frau?«, hake ich nach.

    Sie war mit einem Beamten verheiratet, der einen
    Kopf kleiner war als sie und wie ein Wiesel hektisch immer wieder nach links und rechts schaute, wenn er die Straße hinauf in die Präfektur ging, wo er als Leiter des Büros allerhand wichtige, wenn auch langweilige Tätigkeiten versah. Niemand wusste, was dieses Paar zusammenhielt, die Kinder waren es ganz
    sicher nicht. Signora Bertone hatte nämlich drei
    Töchter, ihr Mann hingegen war kinderlos. Jeder
    wusste oder ahnte,

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