Maria, ihm schmeckts nicht!
der Lage, einen anständigen
Kaffee zu machen, und die meisten Menschen, die
den so genannten Bürokaffee trinken, werden davon
mittelfristig krank, weil er wie Asphalt im Magen
klebt, meistens auch so schmeckt und darüber
hinaus dazu führt, dass Angestellte übel schwitzen
und aus dem Mund riechen wie Moorleichen. Den-
noch: Dieser Filterkaffee war nicht so schlimm,
solange es ihn noch gab, denn etwas viel Schlim-
meres ist an seine Stelle getreten: Latte Macchiato.
Entkoffeinierter Espresso. Cappuccino mit fettarmer Milch.
Schuld daran sind aber nicht die Italiener, auch
wenn die Namen dieser Getränke darauf schließen
lassen, sondern – natürlich – irgendwelche Amerika-
ner, möglicherweise studentische Bill-Gates-artige
Kumpeltypen, die auch noch glauben, sie hätten mit
ihrer Brühe der Menschheit ein ähnliches Geschenk
gemacht wie die Teflonpfanne oder den Zauberwürfel.
Den Abstieg des Kaffees haben sie paradoxerweise
damit besiegelt, dass sie ihn sich immer weiter haben ausbreiten lassen, und zwar in Gestalt von jenen
Kaffeebuden, die in Großstädten normalerweise
Chicago Coffee Corporation oder so ähnlich heißen.
Dort gibt’s zwar gar keinen richtigen Kaffee mehr,
sondern Stardust con low-fat latte decaf medium size oder anderen Scheiß in Pappbechern. Es ist übrigens nicht so, dass das Zeug nicht schmeckt, es ist nur
irgendwie kein Kaffee. Wer mal einen bei Nonna
Anna oder Daniele getrunken hat, weiß Qualität zu
schätzen.
Die Globalisierung von Kaffee führt dazu, dass
man nicht mehr richtig unterscheiden kann, wo in
der Welt man ist, weil die Welt überall gleich
schmeckt. Manchmal gibt es was zu essen in diesen
Filialen der Weltverschwörung für die Erniedrigung
des Geschmacks. Wrapped tuna burritos zum Beispiel oder fresh french charmin rolls. Ein Wurstbrot gibt es leider nicht.
Aber nicht nur das Produkt ist ziemlich runterge-
kommen, sondern auch die Darreichungsform. Worin
besteht der Fortschritt der Menschheit, wenn sich
Erwachsene so weit zurückentwickeln, dass sie frei-
willig ein Getränk in der Hand halten, das einen
Plastikdeckel mit einer Art Schnabelöffnung besitzt, aus der sie saugen können, ohne sich zu bekleckern?
Diese Trinkgewohnheiten sollte man spätestens hin-
ter sich haben, wenn man mit eigenem Geld bezah-
len kann, also etwa mit sechs Jahren. Dennoch gibt es unzählige urbane Menschen, die sich keineswegs
albern damit fühlen, einen Pappbecher mit Globa-
lisierungs-Saugekaffee und eine Tüte Backtriebmittel in Gestalt von Heidelbeermuff ins mit sich herum-zuschleppen, obwohl Pappbecher etwas für Kinder-
geburtstage sind. Wein trinkt man doch auch aus
einem Glas. Ein noch so kleiner Kaffee hat eine dick-wandige Tasse verdient, das ist mehr als nur eine
Frage der Ehre, nämlich eine des guten Geschmacks
und des Stils.
Bei Daniele bekommen wir unsere Dosis in kleinen
dicken Tässchen. Antonio schüttet so viel Zucker
hinein, dass sein Espresso sich in eine gesättigte
Lösung verwandelt. Ich hingegen begnüge mich mit
einem Löffel. Ich rühre auch gerne damit in meiner
Tasse, das hat etwas Meditatives, finde ich. Antonio fragt heute nicht, wo wir stehen geblieben sind. Er beginnt seinen Bericht in dem Augenblick, da der
Minutenzeiger der großen Cinzano-Uhr an der Wand im Café Montefiore auf 11.30 Uhr umspringt. Klack.
Als Antonio am 2. Mai in Osnabrück ankam, servier-
te ihm niemand zur Begrüßung einen Espresso. Es
sagte auch keiner »Guten Tag«. Am Bahnhof stand
ein Bus bereit, der die Fremdarbeiter zu einer Wohn-barracke brachte, in der Antonio der alphabetischen Nähe ihrer Nachnamen wegen mit zwei Männern aus
Spanien und einem Portugiesen in ein Viererzimmer
gesteckt wurde, das gerade mal zwei Hochbetten,
vier schmalen Spinden und einem Tisch mit zwei
Stühlen Platz bot. Die beiden Stühle wurden sogleich von den Spaniern okkupiert, während der Portugiese
und Antonio den halben Tag hindurch mit ihren
Koffern auf dem Bett saßen und schweigend dabei
zusahen, wie die Spanier Karten spielten.
Die Arbeit überforderte Antonio nicht, mehr noch,
er hatte den Eindruck, dass er in dem Karosserie-
werk im Wesentlichen Aufgaben versah, auf die die
deutschen Arbeiter keine Lust hatten. Seine Qualifi-kationen wurden weder gebraucht noch zur Kennt-
nis genommen. Auch sprach man ihn nicht an, so
dass er stundenlang schweigend vor sich hin wer-
keln konnte und dabei an Amerika dachte.
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