Maria, ihm schmeckts nicht!
dass die Kinder von ihren
Verhältnissen mit anderen Männern stammten, aber
niemand hätte es gewagt, dies laut auszusprechen,
denn dann hätte man sich auch darüber Gedanken
machen müssen, wer die Väter waren, und die
Frauen aus der Gegend hatten daran ein fast noch
geringeres Interesse als ihre Ehemänner. Immerhin
erzog Bertone die Mädchen gewissenhaft.
Es hieß, dass Signora Bertone sich jeden Sechzehn-
jährigen einmal schnappte, um ihn in die Techniken
der Liebe einzuweihen. In Antonios Bekanntenkreis
gab es bereits drei junge Kerle, die diesen Kurs absolviert zu haben behaupteten. Ihre Schilderungen
kratzten Antonio derart auf, dass er nicht dazu in der Lage war, am Haus der Bertones vorbeizugehen, ohne
an die Signora zu denken. Antonios Schulweg in der
Abschlussklasse führte ihn zweimal am Tag am Bal-
kon der Bertones vorbei, und immer riskierte er
einen Blick nach oben, um zu überprüfen, ob sie
vielleicht da war, ihm winkte, ihn am Ende zu sich
einlud. Um ihn dann zu verführen. Heilige Mutter
Gottes, was für Gedanken waren das? Aber er
konnte sie nicht verdrängen.
Viel Zeit blieb ihm nicht mehr, um sich von ihr er-
obern zu lassen, denn das Ende seiner Schullaufbahn zeichnete sich ab. Er war ein mittelmäßiger Schüler, einer von jenen, die gut mitkommen, jedoch keinerlei Ambitionen zeigen. Er liebte Homers Odyssee und die Bücher von Jules Verne, in denen es kreuz und
quer durch die Welt ging. Mit dem Zeichenunter-
richt, den ein drolliger Mann mit Spitzbauch erteilte, dem es ganz offensichtlich egal war, ob die Schüler seiner Klasse malten, wenn sie nur still waren und
sich irgendwie beschäftigten, konnte Antonio nichts anfangen. Als er eines Tages von Spitzbauch gefragt wurde, warum er aus dem Fenster schaue, anstatt zu
zeichnen, sagte er, dass er nichts sehe, was sich zu zeichnen lohne.
»Du willst nicht zeichnen?«
»So ist es.«
»Na gut, dann geh mal in den Keller und putz mein
Fahrrad.« Die Schulzeit war Antonio nicht wichtig,
er dachte schon weiter und hatte sich für eine
Schlosserlehre angemeldet, denn Schlosser, da war er sicher, war ein Beruf, den man auch in Amerika gut
gebrauchen konnte, weil es dort Fabriken gab. Was
hätte man in einer Fabrik schon mit einem Bäcker
oder einem Hutmacher anfangen sollen? Außerdem
konnte man noch versuchen, Ingenieur zu werden,
wenn man als Schlosser anfing. Ein Konditor
hingegen würde immer ein Konditor bleiben und
höchstens noch zum Oberkonditor aufsteigen.
Je näher der Tag seiner Schulentlassung rückte,
desto langsamer passierte er das Haus, in dem die
Freude wohnte. Eines Tages, er hatte schon beinahe
aufgegeben und sich wieder stärker um die Eroberung von Loredana gekümmert, die ihm als eine sehr tief
hängende Frucht erschien, tauchte Signora Bertone
tatsächlich auf dem Balkon auf. Er zwang sich, nicht hinzusehen, aber natürlich schaute er doch nach
oben und ihre Blicke trafen sich. Signora Bertone
trug eine Kittelschürze und hängte Wäsche auf.
»Bist du nicht der Älteste der Marcipanes?«
Sie sprach ihn an. Jetzt bloß nichts falsch machen.
»Guten Tag, Signora Bertone. Ich bin Antonio«,
sagte Antonio und tippte sich dabei auf die Brust.
»Ich bin der Zweitälteste.«
»Wie alt bist du denn, Antonio Marcipane?«
»Ich bin schon fast sechzehn.«
»Dann bist du ja sicher schon sehr stark.«
Er begriff nicht, worauf sie hinauswollte, antwor-
tete jedoch sicherheitshalber, er sei bestimmt einer der Stärksten in der ganzen Schule, was nicht gelo-gen war.
»Wenn du so stark bist, dann kannst du mir sicher
helfen, oder?«
»Was muss ich denn da tun? Ich habe nämlich
nicht viel Zeit. Ich muss nach Hause zum Essen.«
Lüge. Er hatte jede Menge Zeit, aber die Sache
überrollte ihn. Er war ein Romantiker, jemand, der
nicht sofort zu allem bereit war. Sein Mut sank.
»Es geht ganz schnell, nur ein paar Möbel rücken.«
»Na gut.«
Er betrat das Haus und stieg in den zweiten Stock,
wo ihn Signora Bertone lächelnd empfing.
»Mein Retter«, sagte sie nicht ohne Ironie und zog
ihn in die Wohnung, die recht geschmackvoll einge-
richtet war, wie er fand. Sie schritt vor ihm einher, ihr Hinterteil zeichnete sich als großes Versprechen unter ihrer Schürze ab. Er folgte ihr, bis er merkte, dass sie ins Schlafzimmer ging, und blieb in der Tür stehen.
»Signora Bertone, was soll ich hier in Ihrem
Schlafzimmer?«
»Hast du etwa Angst?«, entgegnete sie und begann
zu
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