Maria, ihm schmeckts nicht!
nicht
zurück, er hatte keine Angst. Und er blieb dort, für immer dort.
»Hast du es bereut?«, frage ich Antonio, der in den letzten Minuten ein wenig melancholisch geworden
ist.
»Nichte bereute, nein, kanni nichte sagen. Aber war einsam, verstehste du?«
»Andò, ich habe eine Frage.«
»Schieß los.«
»Was ist aus dem Koffer geworden? Hast du Baffo-
ne den Koffer zurückgeschickt?«
»Die Koffer? Warte mal, nein. Habi der noch. Iste
irgendwo im Keller. Iste der Christebaumschmuck
darin.«
»Ich finde, du solltest ihn zurückbringen.«
»Findestu?«
Bevor wir zu Nonna Anna zurückkehren, kaufen wir
noch ein. Ganz in der Nahe ihrer Wohnung hat ein
neuer Supermarkt aufgemacht. Dort muss man einen
Euro in den Einkaufswagen stecken, als Pfand.
Cousin Marco findet, dass ein Euro ein fantastisch
günstiger Preis für einen Einkaufswagen dieser be-
eindruckenden Größe ist. Er hat bereits zwei Stück
davon in seiner Wohnung, die er mittels Schneid-
brenner und Metallsäge zu formschönen Fernseh-
sesseln umgebaut hat.
Auch im Supermarkt gibt es Fernsehsessel. Sie
scheinen das zentrale Statusmöbel überhaupt zu sein.
Diese Sessel sind an den merkwürdigsten Stellen
justierbar, denn falls der jeweilige Besitzer auf die Idee kommen sollte, einmal ganz crazy fernzusehen,
also beispielsweise mit dem Kopf auf der einen und
dem Po auf der anderen Armlehne zu liegen, dann soll der Sessel immer noch bequem sein. Italiener wissen eben, was wahrer Luxus ist, nämlich die Möglichkeiten, die sich einem bieten, nicht zu nutzen. Fast alle Sessel haben verborgene Klappen für Getränke,
Zigarettenasche, Fernbedienungen und Padre-Pio-
Bildchen. Sie (die Sessel, nicht die Bildchen) sind mit wasserabweisenden Stoffen bezogen, deren che-mische Inhaltsstoffe vermutlich durch die Kleidung in den Menschen diffundieren, auf dass er das Fern-sehprogramm begeistert konsumiere. Die Farben die-
ser Möbel decken sich mit den Farben der Besitzer,
die darin fast vollkommen verschwinden. Antonio
bleibt lange vor einem Sessel mit eingebauter Massa-ge stehen.
»Könne die Möbel bauen, die Italiener. Sinde viele dumme Salat, aber habbe die Geschmacke ver-pachtet.«
»Gepachtet.«
»Jaaaa, biste duuuu schlau. Duuu biste schlau.«
Er nickt anerkennend und tippt sich an den Kopf.
Dann kaufen wir Käse und Wein.
Neun
Nonna Anna stellt keine Fragen. Sie will nicht
wissen, wie lange wir zu bleiben gedenken, und es
ist ihr auch egal, was wir den ganzen Tag machen.
Wir verlassen die Wohnung wie jeden Morgen gegen
elf Uhr und werden sechs, sieben Stunden später
zurückkehren. Dann folgen die für mich schikanösen
Abendessen im erweiterten Familienkreis. Dass wir
nicht ständig zu Hause herumhocken, passt der
Nonna offenbar ganz gut, denn dann muss sie nicht
ständig Espresso kochen. Sie hat offenbar den
Eindruck, dass ich einen unstillbaren Kaffeedurst
habe, denn sie fragt mich jede Stunde einmal, ob ich gerne einen Kaffee trinken möchte.
Diesen bereitet sie auf dem Herd in einer dieser
Schraubkannen aus Aluminium zu. Ihr Kaffee ist
wunderbar, ich habe mich schon sehr daran
gewöhnt. Sie bringt ihn mir in einem winzigen
Tässchen aus Porzellan und stellt dann ein
Zuckergefäß daneben, in dem ein Silberlöffelchen
steckt, dessen Griff eine fein ziselierte Dornenranke darstellen soll.
Heute war sie dabei allerdings etwas kurz ange-
bunden. Vielleicht ist sie verstimmt, denn ich habe nach dem Aufstehen vergessen, den weinenden Kna-ben wieder richtig hinzuhängen, und als ich von der Toilette komme, sehe ich sie in meinem Zimmer stehen und das Bild umdrehen. Ich kann gut verstehen,
wenn sie auf mich sauer ist, aber ich kann nicht
schlafen, wenn mich die Augen dieses Kindes so
fürchterlich anstarren. Da ich nicht scharf bin auf einen Eklat, erzähle ich Antonio nichts von meiner
Besorgnis, in Ungnade gefallen zu sein. Auf jeden
Fall bestärkt mich der Vorfall in meinem Wunsch,
nun langsam wieder nach Hause zu fahren.
Ich würde auch gerne mal wieder so einen richtig
feinen Filterkaffee trinken, aber den gibt es hier
nicht. Zu Hause übrigens auch nicht. Bohnenkaffee
scheint auf globaler Ebene abgemeldet zu sein.
Was war eigentlich schlecht am Kaffee, jetzt mal
außer dem Koffein? Es war doch eigentlich immer
ganz schön, so einen richtigen normalen Kaffee zu
trinken. Einen gebrühten, sich durch einen Papierfilter gurgelnden Kaffee. Gut, zugegebenermaßen ist
nicht jeder dazu in
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