Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maria, ihm schmeckts nicht!

Maria, ihm schmeckts nicht!

Titel: Maria, ihm schmeckts nicht! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
Vom Netzwerk:
weg«, drohte sie Rocco eines Nachts, als
    sie nicht schlafen konnten, weil Antonio im Wohnzimmer schnarchte, als gelte es, einen Schinken damit zu gewinnen.
    »Oder ich bin weg.« Das war zwar eine leere Dro-
    hung, aber sie verfehlte ihre Wirkung nicht.
    »Du musst weg!«, rief Rocco am nächsten Tag
    durch das Fenster der Küche, den Lärm der Töpfe und Pfannen übertönend, und gab Antonio die scaloppine al limone für Tisch drei in die Hand.
    »Oder sie ist weg.«
    »Was sagst du?«
    »Du musst weg oder Chiara geht. Ich muss mich
    entscheiden.«
    »Und wie entscheidest du dich?«, fragte Antonio
    naiv.
    »Sie hat die schöneren Beine, das musst du ein-
    sehen.«
    »Irgendwie stehst du immer auf der Straße.«
    »Damals gab nur Wucher die vermietet an junge
    Geselle wie miche. Habber keine Wohnung gefunde-
    ne ohne weiteres. Ursula war meine Wohnungs-
    schlüssel.«
    Sehr charmant, wirklich.
    »Wie hast du denn Ursula kennen gelernt?«
    »Karneval habbe kenne gelernte. Erzähle ich dir
    morgen.«

    Er zahlt, wir gehen, Daniele winkt.
    Ich muss zurück, ich habe eigentlich gehofft, wir
    könnten abends fahren, vielleicht die Nacht durch,
    doch daraus wird nichts. Noch einen Tag gebe ich
    ihm. Aber dann müssen wir nach Hause, nichts zu
    machen.
    Nonna Anna hat Besuch von einer Nachbarin. Sie
    heißt Aurora und hat ein dickes Kind von nicht
    definierbarem Geschlecht dabei, das während des
    ganzen Besuches auf einen piependen Gameboy
    starrt und die Jacke anbehält.
    Nonna Anna und Aurora sitzen am Tisch und
    unterhalten sich leise. Sie nehmen keinerlei Notiz
    von unserer Anwesenheit. Vor ihnen steht ein Teller, dazu eine Flasche Öl und ein Glas Wasser. Daneben
    liegt eine Schere. Nach allerhand aufgeregter Kon-
    sultation nimmt Nonna Anna das Öl zur Hand und
    gießt einige Tropfen in den Teller. Antonio erklärt mir, was das Ganze soll. Es handelt sich nämlich um ein probates Mittel gegen Flüche. Dabei gießt man
    also ein wenig Öl auf einen Teller, das sich darin
    ausbreitet.
    Danach fügt man einen Tropfen Wasser hinzu und
    beobachtet, was passiert. Wenn sich der Tropfen teilt, dann wirkt der Fluch nicht. Wird er jedoch größer,
    ohne sich zu spalten, tja, dann sieht es schlecht aus, wie im Falle von Aurora, deren stummes Grauen
    vom Piepen des Gameboys untermalt wird.
    »Machte gar nichts«, flüstert Toni. »Nonna hatte
    ihre Mittel.«
    Nonna Anna greift zur Schere und schneidet den
    Wassertropfen durch. Fluch gebannt, so einfach kann Erlösung sein.

Zehn
    Die Konkurrenz zwischen Antonio und seinem älte-
    ren Bruder Raffaele ist spürbar, wann immer die Tür aufgeht und Raffaele seine Mutter besucht. Mich beachtet er kaum, ich bin für ihn ein Niemand. Anders als Matteo oder Marias Ehemann Egidio, die mich
    gerne zu Stadtbummeln oder kurzen Kneipenbe-
    suchen mitnehmen, wo ich dem Strom der Worte
    zuhöre, Bier aus der Flasche trinke, MS-Zigaretten
    rauche und freundlich nicke, wenn mich irgendeiner
    rau und zahnlos anspricht, ist Raffaele auf eine
    lauernde Art zurückhaltend. Er küsst mich zur Be-
    grüßung nur einmal, nicht zweimal wie die anderen.
    Und er starrt mich beim Essen an, das habe ich schon einige Male gemerkt. Kurz gesagt: Ich mag ihn nicht.
    Und er mag mich nicht. Dass ich andere in der
    Familie vorziehe, spürt er, und das macht die Stim-
    mung nicht besser, die ohnehin schon gespannt ist,
    sobald Raffaele irgendwo auftaucht. Er brüstet sich damit, dass er in seinem ganzen Leben noch nie
    gearbeitet hat, was Antonio als Deutscher ehren-
    halber natürlich typisch italienisch findet, und das sei der Grund, dass es in diesem Land immer nur
    bergab gehe.
    Raffaele Marcipane ist ein Macho alten Zuschnitts.
    Die meisten Europäer finden es heutzutage chauvi-
    mäßig, wenn der Mann abends nach Hause kommt
    und zur Begrüßung ruft: »Schatz, was gibt’s zu
    essen?« Bei Raffaele ist es so, dass nicht er, sondern seine Frau abends nach Hause kommt und er zur
    Begrüßung ruft: »Schatz, was gibt’s zu essen?« Diese Steigerung des machismo in die Unterdrückung der Frau fällt selbst jemandem wie Antonio auf und das
    will nun wirklich etwas heißen.
    Vor einiger Zeit erreichte Raffaele das Rentenalter, und als er keinen Brief erhielt, in welchem ihm die Höhe seiner künftigen Bezüge oder der Beginn
    seines Pensionistendaseins mitgeteilt wurde, ging er höchstpersönlich zum Amt, um diesen Sesselfurzern
    die Meinung zu geigen. Der Beamte sah überall nach
    und erklärte Raffaele

Weitere Kostenlose Bücher