Maria, ihm schmeckts nicht!
weg«, drohte sie Rocco eines Nachts, als
sie nicht schlafen konnten, weil Antonio im Wohnzimmer schnarchte, als gelte es, einen Schinken damit zu gewinnen.
»Oder ich bin weg.« Das war zwar eine leere Dro-
hung, aber sie verfehlte ihre Wirkung nicht.
»Du musst weg!«, rief Rocco am nächsten Tag
durch das Fenster der Küche, den Lärm der Töpfe und Pfannen übertönend, und gab Antonio die scaloppine al limone für Tisch drei in die Hand.
»Oder sie ist weg.«
»Was sagst du?«
»Du musst weg oder Chiara geht. Ich muss mich
entscheiden.«
»Und wie entscheidest du dich?«, fragte Antonio
naiv.
»Sie hat die schöneren Beine, das musst du ein-
sehen.«
»Irgendwie stehst du immer auf der Straße.«
»Damals gab nur Wucher die vermietet an junge
Geselle wie miche. Habber keine Wohnung gefunde-
ne ohne weiteres. Ursula war meine Wohnungs-
schlüssel.«
Sehr charmant, wirklich.
»Wie hast du denn Ursula kennen gelernt?«
»Karneval habbe kenne gelernte. Erzähle ich dir
morgen.«
Er zahlt, wir gehen, Daniele winkt.
Ich muss zurück, ich habe eigentlich gehofft, wir
könnten abends fahren, vielleicht die Nacht durch,
doch daraus wird nichts. Noch einen Tag gebe ich
ihm. Aber dann müssen wir nach Hause, nichts zu
machen.
Nonna Anna hat Besuch von einer Nachbarin. Sie
heißt Aurora und hat ein dickes Kind von nicht
definierbarem Geschlecht dabei, das während des
ganzen Besuches auf einen piependen Gameboy
starrt und die Jacke anbehält.
Nonna Anna und Aurora sitzen am Tisch und
unterhalten sich leise. Sie nehmen keinerlei Notiz
von unserer Anwesenheit. Vor ihnen steht ein Teller, dazu eine Flasche Öl und ein Glas Wasser. Daneben
liegt eine Schere. Nach allerhand aufgeregter Kon-
sultation nimmt Nonna Anna das Öl zur Hand und
gießt einige Tropfen in den Teller. Antonio erklärt mir, was das Ganze soll. Es handelt sich nämlich um ein probates Mittel gegen Flüche. Dabei gießt man
also ein wenig Öl auf einen Teller, das sich darin
ausbreitet.
Danach fügt man einen Tropfen Wasser hinzu und
beobachtet, was passiert. Wenn sich der Tropfen teilt, dann wirkt der Fluch nicht. Wird er jedoch größer,
ohne sich zu spalten, tja, dann sieht es schlecht aus, wie im Falle von Aurora, deren stummes Grauen
vom Piepen des Gameboys untermalt wird.
»Machte gar nichts«, flüstert Toni. »Nonna hatte
ihre Mittel.«
Nonna Anna greift zur Schere und schneidet den
Wassertropfen durch. Fluch gebannt, so einfach kann Erlösung sein.
Zehn
Die Konkurrenz zwischen Antonio und seinem älte-
ren Bruder Raffaele ist spürbar, wann immer die Tür aufgeht und Raffaele seine Mutter besucht. Mich beachtet er kaum, ich bin für ihn ein Niemand. Anders als Matteo oder Marias Ehemann Egidio, die mich
gerne zu Stadtbummeln oder kurzen Kneipenbe-
suchen mitnehmen, wo ich dem Strom der Worte
zuhöre, Bier aus der Flasche trinke, MS-Zigaretten
rauche und freundlich nicke, wenn mich irgendeiner
rau und zahnlos anspricht, ist Raffaele auf eine
lauernde Art zurückhaltend. Er küsst mich zur Be-
grüßung nur einmal, nicht zweimal wie die anderen.
Und er starrt mich beim Essen an, das habe ich schon einige Male gemerkt. Kurz gesagt: Ich mag ihn nicht.
Und er mag mich nicht. Dass ich andere in der
Familie vorziehe, spürt er, und das macht die Stim-
mung nicht besser, die ohnehin schon gespannt ist,
sobald Raffaele irgendwo auftaucht. Er brüstet sich damit, dass er in seinem ganzen Leben noch nie
gearbeitet hat, was Antonio als Deutscher ehren-
halber natürlich typisch italienisch findet, und das sei der Grund, dass es in diesem Land immer nur
bergab gehe.
Raffaele Marcipane ist ein Macho alten Zuschnitts.
Die meisten Europäer finden es heutzutage chauvi-
mäßig, wenn der Mann abends nach Hause kommt
und zur Begrüßung ruft: »Schatz, was gibt’s zu
essen?« Bei Raffaele ist es so, dass nicht er, sondern seine Frau abends nach Hause kommt und er zur
Begrüßung ruft: »Schatz, was gibt’s zu essen?« Diese Steigerung des machismo in die Unterdrückung der Frau fällt selbst jemandem wie Antonio auf und das
will nun wirklich etwas heißen.
Vor einiger Zeit erreichte Raffaele das Rentenalter, und als er keinen Brief erhielt, in welchem ihm die Höhe seiner künftigen Bezüge oder der Beginn
seines Pensionistendaseins mitgeteilt wurde, ging er höchstpersönlich zum Amt, um diesen Sesselfurzern
die Meinung zu geigen. Der Beamte sah überall nach
und erklärte Raffaele
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