Maria, ihm schmeckts nicht!
mit
Geringschätzung betrachteten, wenn er in einem
neuen braunen Anzug durch Campobasso lief.
Der Effekt, das musste er eingestehen, war gering.
Nur Maria freute sich wie ein Kind, das sie auch
noch war. Alle anderen, besonders Raffaele, machten keinen Hehl daraus, dass sie seine Flucht missbil-ligten und sein Auftauchen eher als flüchtigen und
hoffentlich kurzen Besuch denn als Rückkehr auf-
fassten.
»War der Anzug teuer?«, knurrte sein Vater beim
Essen, das sie zu siebt einnahmen, weil Matteo in-
zwischen seinen Militärdienst ableistete und nur
noch an zwei Wochenenden nach Hause kam und
Davide mit Furio auf dem Markt arbeitete, weil die
Familie das Geld brauchte.
»Es ist ein guter deutscher Anzug.«
»Italienische haben die da wohl nicht.«
»Sie machen sich nichts aus italienischen Anzügen,
die Deutschen«, sagte Antonio leicht blasiert. Im
Grunde war er irritiert über die Ablehnung, die ihm entgegenschlug. Er hatte doch immerhin regelmä-
ßig geschrieben. Wahrscheinlich hatten sie die Briefe auch nicht, wie er sich das gedacht hatte, im großen Kreis gelesen, sondern damit das Herdfeuer geschürt.
»Und? Wie geht es euch?«, fragte er betont fröhlich in die Runde, und als keiner antwortete, ergänzte er:
»Papa?«
»Es geht mir gut, danke der Nachfrage. Natürlich
nicht so gut wie dir, denn du hast es im Gelobten
Land ja zu etwas gebracht und musst dich nicht
mehr um deine arme Verwandtschaft kümmern.«
Aha, daher wehte der Wind. Neid!
»Ich bin doch jetzt hier.«
»Jeder anständige Junge schickt Geld, wenn er in
einem anderen Land so viel verdient wie du. Jeder.
Nur du nicht. Nicht dass wir es brauchten, nein,
nein, wir kommen auch gut ohne dein deutsches Geld
aus, aber es ist eine Frage des Respekts für seine Familie. Was haben wir dir eigentlich getan, dass du uns so schlecht behandelst?«
Es wäre nun an der Zeit gewesen, die Wahrheit zu
sagen und einzugestehen, dass er erstens bei weitem nicht so viel verdient hatte, wie er in den Briefen immer hatte glauben machen wollen, und dass er zwei-
tens gar nicht vorgehabt hatte, zurückzukommen,
sondern nur hier war, weil Ugo ihn auf die Idee ge-
bracht hatte. Stattdessen stand er langsam auf, ging in das Zimmer, in dem Furio seinen Platz im Hochbett eingenommen hatte, und entnahm seinem Koffer
eine große Tüte. Darin bewahrte er, der immer noch
kein Konto besaß und in Oldenburg ja nun keine
Bleibe mehr hatte, wo er das Geld hätte lassen kön-
nen, sein Erspartes auf. Er nahm die Tüte und kehrte schweigend ins Wohnzimmer zurück. Er stülpte die
Tüte um und sein Geld fiel auf den Tisch zwischen
Tomatensalat und Brotkrümel. Keiner sagte ein
Wort. Antonio genoss diesen Augenblick des stau-
nenden Schweigens, der seiner Vorstellung von einem großen Auftritt sehr nahe kam. Er setzte sich wieder und aß weiter, während sein Vater einen Zehnmarkschein aufhob und gegen das Licht hielt.
»Ist das viel?«, fragte Calogero, der nichts von
Geldscheinen verstand, weil er in der Bank nie mit
Banknoten in Berührung kam.
»Ja, sehr viel. Ungefähr eine halbe Million Lire«,
übertrieb Antonio mit gespielter Beiläufigkeit und
riss ein Stück Weißbrot vom Laib.
»Passt also mit dem Geld ein bisschen auf und
macht es nicht schmutzig. In Deutschland benutzen
sie nur sauberes Geld, da wollen die keine Flecken
drauf haben. Überhaupt ist es dort viel sauberer als hier.«
Zumindest Calogero, der immer noch eine große
Bewunderung für alles Deutsche empfand, war mit
diesen Worten neugierig gemacht – und mit dem
Geldsegen versöhnt. Antonio erzählte den ganzen
Abend von Deutschland, wo jeder einen großen
Wagen fuhr, wie es sie in Italien kaum gab, und die meisten Familien in eigenen Häusern wohnten, die
dicht an dicht in den Vorstädten entstanden.
Nur Raffaele empfahl sich und ging nach Hause zu
seiner Frau, die er vor einiger Zeit geheiratet hatte.
Er war nicht so leicht zu beeindrucken wie seine
schafsgleichen Geschwister und seine Eltern. Als älterer Bruder hatte er das Recht gehabt, etwas Besonderes zu sein, nämlich Wortführer und Hauptakteur
des Familienlebens, aber Antonio hatte ihm dieses
Privileg geraubt und das konnte er ihm nicht verzeihen. Schon während seiner Abwesenheit war Anto-
nio immer wieder das Hauptthema der Gespräche
gewesen. Und nun, da er leibhaftig zurückgekehrt
war, sollte sich die Situation nicht bessern, sie verschärfte sich nur mit jedem Tag, den er
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