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Maria, ihm schmeckts nicht!

Maria, ihm schmeckts nicht!

Titel: Maria, ihm schmeckts nicht! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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über-
    wiegend deutschen Gäste kam. Hier ein bisschen
    singen, da ein bisschen lächeln. Und immer schnell
    sein, nichts lieben die Deutschen mehr.
    Frau Eggebrecht verlangte bald nur noch eine
    symbolische Mietzahlung, sie hielt Antonio nach al-
    len Regeln dieser schönen Kunst aus. Wenn er nach
    Bratfett stinkend täglich gegen Mitternacht nach
    Hause kam, gedachte er für gewöhnlich, ein Bad zu
    nehmen, welches ihm seine Wirtin bereits eingelas-
    sen hatte. Manchmal ließ sie sich gleich mit ein, und wenn er nicht zu müde war, gab er sich ihren Bemü-
    hungen gern hin. Dafür führte er ihren Dackel am
    Wochenende spazieren und so waren alle drei hoch
    zufrieden.
    Antonio sparte sein Geld, weil er nicht wusste, was er damit anfangen sollte. Zum ersten Mal seit seiner Flucht aus Italien hatte er ein vages Glücksgefühl. So hätte es weitergehen können, wenn nicht eines Tages Ugo auf die verhängnisvolle Idee gekommen wäre,
    seine Eltern zu besuchen.
    Er hatte schon eine ganze Weile davon gesprochen,
    sein Vorhaben aber nie in die Tat umgesetzt. Als Ugo Anfang 1964 Richtung Greve fuhr, spürte Antonio
    tief in seinem Herzen, dass er seinen Freund nicht
    wiedersehen würde. Kaum in Italien, verpasste Ugo
    einen Zug und setzte sich einfach in einen anderen.
    Als dieser in Rom eintraf, bekam Ugo es mit der
    Angst zu tun. Er lief orientierungslos über die Bahn-steige und erlitt vor Aufregung einen Anfall. Er
    stürzte auf ein Bahngleis, wo er von einem eintref-
    fenden Regionalzug erfasst wurde. Er war sofort tot.
    Antonio erfuhr von diesem Unfall, als er bei Ugos
    Eltern nachforschte, wann sein Freund denn zurück-
    komme.
    Ohne Ugo machte ihm die Arbeit in der Kombüse
    keinen Spaß mehr. Es war ein bedeutsamer Unter-
    schied, ob Ugo die Hühner rupfte oder irgendjemand
    sonst ohne dessen Taient, Lieder beim Singen mit
    einem neuen Text zu versehen. Antonio merkte die
    Trauer über den Verlust seines einzigen echten Freundes schon alleine daran, dass seine Trinkgeldeinnahmen deutlich schrumpften.
    Mit Frau Eggebrecht überwarf er sich an einem
    Dienstagabend, an dem sie sich darüber beklagte,
    dass Antonios Leidenschaft sich nicht mehr authen-
    tisch anfühle, worauf er in neapolitanischer Mundart darauf verwies, dass sie, zahm übersetzt, doch auf
    die Toilette gehen solle, wenn ihr etwas nicht passte.
    Dann trat er den Hund, teils aus Versehen, teils mit Absicht und ohne ihm ernstlich wehzutun, denn
    Dackel sind zäher, als man denkt. Frau Eggebrecht
    beendete die symbiotische Beziehung der beiden
    und eine Stunde später stand Antonio mit Baffones
    sowie einem neuen Koffer vor Roccos Wohnung.
    Roccos Frau war nicht begeistert über diesen Anto-
    nio, der bereits seit einiger Zeit öfter des Abends bei ihnen ein und aus ging. Aber man konnte den Mann
    auch schlecht in der Mission übernachten lassen. Sie überzog also die Couch und hoffte, dass sich Herr
    Marcipane nicht für länger bei ihnen einnistete.
    Antonio schlief genau eine Nacht bei Rocco. Beim
    Frühstück sagte er: »Ich muss nach Hause.« Er war
    nun ziemlich genau drei Jahre in Deutschland, und
    Ugos Schicksal hatte ihm klar gemacht, dass er seine Eltern dringend wiedersehen musste, und sei es nur, damit sie wussten, dass es ihm gut ging. Er hatte
    zudem das dringende Gefühl, Ihnen zu zeigen, dass
    er mit einem Koffer losgezogen war und in nur drei
    Jahren den Inhalt eines zweiten Koffers dazuverdient hatte.
    Er fürchtete immer noch den Zugriff der italieni-
    schen Armee und verspürte nicht die geringste Lust, seinen Militärdienst nachträglich abzuleisten. Schon möglich, dass sie seine Briefe in die Heimat abfingen und lasen. Er unterließ es daher nie, in seinen Schreiben zu verdeutlichen, dass er keinesfalls vorhabe, in die Heimat zu reisen. Er nahm also Urlaub und setzte sich in den Zug, ohne sein Kommen anzukündigen.
    Zwar hatte er in drei Jahren kein Heimweh verspürt
    und auch keine Lust, in sein Hochbett zurückzukeh-
    ren, geschweige denn in die enge Stadt, in der die
    Menschen die Fensterläden versperrten, wenn sie
    fremde Stimmen auf der Straße hörten. Auch hatte er sich an so manches in Deutschland gewöhnt, sogar
    an den niedersächsischen Regen und an eingelegte
    Heringe, die Frau Eggebrecht ihm anbot, wenn sie
    abends Unterhaltungssendungen im Fernsehen an-
    sah. Im Grunde genommen trat er die Reise nur an,
    um zu sehen, ob sich seine Wirkung auf andere
    verändert hatte, ob sie ihn bewundernd oder

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