Maria, ihm schmeckts nicht!
begrüßte sie überschwänglich und setzte sie an den besten Tisch, wo er alle fünf Minuten aufkreuzte, um ihr zu versichern, dass er jede Menge Zeit habe und sie natürlich auf
seine Kosten speisen durfte.
Schließlich setzte er sich zu ihr und sie schilderte ihre Angelegenheit, die Antonio dann und wann mit
einer drohenden Faust kommentierte, die er gen
Himmel hob. Er sagte auch »Oh, diese Schufte, diese Gauner, der französisch.« Dann bot er ihr an, jetzt sofort und mit noch frischer Wut einen Brief zu ver-fassen, der diesem Thierry eine solche Furcht einflö-
ßen würde, dass dieser unverzüglich den Schmuck
wieder herausrückte. Antonio brachte Papier und
einen Füllhalter an den Tisch und schrieb, was ihm
Ursula diktierte. Als sie geendet hatte, unterschrieb er in ihrem Namen, las noch einmal sorgfältig nach
Fehlern, faltete den Bogen und steckte ihn in einen Umschlag. Auf seinen Vorschlag hin adressierte er
den Brief, damit Thierry nicht merkte, dass er nicht ihre Handschrift trug, und schrieb auf die Rückseite ihren Namen und ihre Adresse.
Dann wünschte er ihr viel Glück und bat sie, doch
bald wieder vorbeizukommen und ihm mitzuteilen,
wie Thierry aus Paimpol in der Bretagne auf ihr ge-
meinsames Werk reagierte.
Antonio lacht kurz heulend auf und hält inne. Er bereitet eine Pointe vor, ich kann es genau spüren. Aber er sagt nichts. Also versuche ich, in seinen Augen zu lesen, worum es nun gerade geht. Ich soll ihm eine
Frage stellen.
»Du kannst Französisch?«
Volltreffer. Laute Sirene eingeschaltet, heftiges
Kopfschütteln, weiter geht’s.
Es wäre ein kleines Wunder gewesen, wenn dieser
Thierry sich gemeldet hätte, denn niemand auf der
ganzen Welt konnte auch nur ahnen, was in dem Brief stand, den Antonio ihm geschrieben hatte. Antonio
konnte ungefähr so gut Französisch, wie eine Sau Rad fahren kann, und hatte dem Franzosen irgendein
Kauderwelsch gekritzelt. Er wollte bloß nicht, dass Ursula weiter Kontakt mit diesem Burschen hielt.
Als die enttäuschte junge Frau zwei Wochen später
wieder im Da Michele auftauchte und berichtete, dass sich Thierry leider nicht gerührt habe und sie nun die Halskette wohl abschreiben müsse, lud er sie zum Trost für das Wochenende zum Spazierengehen
ein.
Man fuhr mit dem Bus in den Stadtpark, und dort
umscherzte Antonio die junge Frau so lange, bis sie endlich lachte und seine Hand nahm, als er sie durch eine Pfütze führte. Als sie einander nach sieben Tagen wieder trafen, schenkte er ihr eine silberne Halskette mit einem scheußlichen Anhänger, die sie unter Tränen der Rührung annahm. Vier Monate später
heirateten sie.
Er hat ihr nie von seinem Trick mit dem Brief
erzählt, aber all ihre Versuche, ihn später zu einem Urlaub in Frankreich – wo er doch so gut Französisch sprechen könne – zu überreden, schlugen fehl. Auf
wundersame und auch für ihn traurige, ja schmerz-
liche Weise waren seine sämtlichen Kenntnisse der
französischen Sprache über Nacht verschütt gegan-
gen.
»Was haben Nonna Anna und Calogero zu eurer
Hochzeit gesagt?«, frage ich Antonio, dessen Auf-
tritt längst zur Legende geworden ist. Ich denke, es muss doch toll gewesen sein, mit seiner Familie zu
feiern.
»Habbe uns eine Geschenke gemacht, aber konn-
ten nicht kommen«, antwortet er so knapp, dass ich
mir denken kann, wie sehr ihn das verletzte.
Antonio und Ursula waren so glücklich, wie man nur
sein kann, wenn man bedenkt, dass ihre Liebe nur
für sie selbst selbstverständlich war. Ursula wurde in ihrem Spielzeuggeschäft offen angefeindet, weil sie es wagte, einen Ausländer zu lieben und auch noch
zu heiraten. So etwas gehörte sich nicht, und man
vergalt es ihr, indem man sie schnitt und ihr nicht sagte, wenn ihr Mann im Geschäft war, um sie
abzuholen. Wann immer Antonio in der Tür stand
und Ursula ihn nicht sofort erspähte, wurde sie von der Chefin ins Lager oder in den Keller geschickt;
dann konnte er sich die Beine in den Bauch stehen,
bis sie endlich zurück war. Wenn er sich nach ihrem Verbleib erkundigte, ignorierte man ihn, so lange es ging, oder beantwortete seine Bitten so langatmig
und schwierig, dass er die Antwort nicht verstand
und höflich nickte.
Aber Anton von Marzipan beschwerte sich nicht.
Es war nicht einmal sicher, dass er die Beleidigun-
gen, die man ihm zumutete, überhaupt zur Kenntnis
nahm. Er schritt einfach langsam durch die Regale,
betrachtete die Holzfiguren und
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