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Maria, ihm schmeckts nicht!

Maria, ihm schmeckts nicht!

Titel: Maria, ihm schmeckts nicht! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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schließlich, dass er keinen
    Bescheid bekommen habe, weil aus den Unterlagen
    nicht ersichtlich sei, dass er ein Anrecht auf eine Rente habe.
    »Was soll denn das heißen?«, erzürnte sich Raffaele und kramte seinen Pass hervor, um dem Beamten
    anhand seines Geburtsdatums das Gegenteil zu
    beweisen.
    In einer mühsamen Beweisführungskette legte der
    Beamte Raffaele nun auseinander, dass sich alleine
    vom Erreichen des Rentenalters noch lange kein Ren-
    tenanspruch ableiten lasse und dass man erst einmal arbeiten müsse, um in den Genuss der von der Allge-meinheit füreinander erwirtschafteten Rente zu ge-
    langen. Zwischendurch beleidigte Raffaele den armen Mann mit Schimpfwörtern wie »Lump«, »Flegel«,
    »Angeber« oder »Gernegroß«. Als nun der Moment
    kam, in welchem der immer kleinlauter werdende
    Beamte ihm erklärte, dass er eben hätte arbeiten
    müssen, unterbrach ihn Raffaele und schrie: »Ja, was glaubst du denn, wer das Kirchendach gedeckt hat?
    Und wer in Klein Baffones Autowerkstatt den Mon-
    tagegraben ausgebuddelt hat? Hä?«
    »Dafür sind Sie also bezahlt worden?«, fragte der
    Beamte listig.
    »Ja, worauf du einen lassen kannst, du Stinktier.«
    »Ich nehme also zur Kenntnis, dass Sie Ihren Le-
    bensunterhalt in weiten Teilen durch Schwarzarbeit
    bestreiten.«
    »Es hat mir ja niemand gesagt, dass ich dafür keine Rente kriege«, sagte Raffaele leiser und schaltete
    angesichts der Schwierigkeiten, in die er sich nun
    manövrierte, vorsichtshalber einen Gang zurück und
    in eine Art Jammerton um, der ihm vor zwei Jahren
    immerhin vierzig Prozent Rabatt beim Kauf eines
    neuen Esstisches eingetragen hatte.
    Der Beamte klappte seine Unterlagen zu und be-
    schied ihm knapp: »Sie hören von uns.«
    Die erhoffte Rente kam nicht, dafür eine Vorla-
    dung wegen Schwarzarbeit, die man im vereinten
    Europa und in einem modernen Italien wehrhaft zu
    bekämpfen trachte, wie man ihm auf Nachfrage mit-
    teilte. Kein Wunder, dass Raffaele nun öfter und
    meistens ungefragt mitteilt, mit diesem Staat sei er fertig und ihn könne Italien getrost am Arsch lecken und Europa sowieso mit seinen Dänen und Spaniern. Allerdings ist mir bis heute nicht ganz klar, ob Raffaele von Anfang an genau wusste, dass er kein
    Recht auf Rente hatte, und es bloß einmal versuchen wollte, oder ob ihm tatsächlich nicht klar war, dass man erstens arbeiten muss, um Rente zu erhalten,
    und zweitens keinesfalls schwarz. Auch wenn ich
    inzwischen für mich in Anspruch nehmen kann, dass
    ich mich ganz gut in dieser Familie auskenne, so
    bleiben mir derartige Feinheiten immer noch ver-
    borgen. Ich habe jedoch den tröstlichen Eindruck,
    dass dies selbst manchen Italienern miteinander so
    ergeht.
    Raffaele wurde schließlich zu einer schmerzhaften
    Geldstrafe verurteilt und weigert sich seitdem, für den Bus zu bezahlen. Aus Rache an der Gesellschaft
    trampelt er auch durch öffentliche Blumenbeete und
    lehnt es ab. staatlichen Einrichtungen zu spenden,
    was er auch vorher nicht getan hat, es damals nur
    noch nicht mit den Schmerzen begründete, die ihm
    dieses Land zugefügt hat.

    »Willkommen im Paradies«, trällert Daniele zur
    Begrüßung, als wir die Tür zu seiner Bar öffnen. Sie ist eine der kleineren Bars in Campobasso. Und die
    Lage, weit entfernt vom brummenden Betrieb auf
    dem corso, hindert ihn daran, das große Geschäft zu machen. Dafür ist seine Bar ruhig und friedlich.
    Meistens stehen nur ein paar Nachbarn mit müden
    Gesichtern am Tresen, Geschäftsleute, die rasch
    einen tramezzino brauchen und einen Kaffee-Kick.
    »Guten Morgen und auf Wiedersehen«, grüßt Toni
    zurück. »Wir sind hier, um uns zu verabschieden.
    Mein lieber Junge hier und ich müssen leider wieder zurück. Meine Geschäfte warten.«
    Seine Geschäfte, na, so was!
    Wir setzen uns an unseren Stammplatz und brau-
    chen nicht zu bestellen, denn Daniele bringt ohnehin unaufgefordert den Kaffee und stellt zur Feier des
    Tages noch zwei Bomben – mit Vanillecreme gefüllte
    Krapfen – beträchtlichen Ausmaßes daneben.
    »Wo warene wir, liebe Jung?«
    »Karneval 1965, Ursula«, sage ich im Stichwortton.

    Antonio machte sich nicht viel aus Fasching. Für ihn waren es allenfalls laute Tage, die nichts als Arbeit verhießen. Mit der berühmten rheinischen Fröhlich-keit konnte er zwar durchaus etwas anfangen, aber
    die Kostümierung ließ ihn kalt. Er hielt es für al-
    bern, sich zu verkleiden, bloß um dann im Schun-
    kelrhythmus Hintern an

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