Maria, Mord und Mandelplätzchen
Beamte schließlich, indem er seinem Kollegen auf die Schulter klopfte. »Hat alles eine logische Erklärung, Alwin!« Und Alwin widersprach nicht, sondern zerriss das Formular, auf dem er den Fall bereits notiert hatte.
»Gut, dann packen wir’s mal wieder in Richtung Heimat, oder?«, sagte Kluftinger. Seine Frau schien nicht zu wissen, ob sie lachen oder weinen sollte. »Ich hol schon mal den Wagen«, bot Langhammer an und verschwand aus der Tür.
Wenige Minuten später kehrte er zurück, allerdings weniger gut gelaunt als beim ersten Mal. Er wirkte sogar richtiggehend blass, fand Kluftinger. Der Doktor blieb eine Weile im Türrahmen stehen und machte ein betretenes Gesicht. Er spielte nervös mit seinen Händen, dann sah er zu Annegret und sagte kleinlaut: »Die Schlüssel …« Seine Frau verstand nicht, ebenso wenig wie Kluftingers und die beiden Polizisten. »Ich, ähm«, er räusperte sich, » … also ich hab die Schlüssel wohl im Auto, quasi – liegen gelassen.« Annegret ließ sich in einen Stuhl fallen und seufzte: »Auch das noch!« Schnell war Langhammer bei ihr und beeilte sich hinzuzufügen: »Aber ich habe den Mercedes-Dienst schon verständigt. Die werden jeden Moment hier sein.«
»Wann?«, war alles, was seine Frau erwiderte. Langhammer murmelte etwas Unverständliches. »Wie bitte?«, hakte seine Frau nach. Widerwillig wiederholte Langhammer: »In einer Stunde etwa. An Weihnachten sind sie nicht so gut besetzt. Da würden sie sonst eh nicht gebraucht.« Es kostete Kluftinger große Mühe, sein Grinsen, das nun mit aller Gewalt ans Licht wollte, zu unterdrücken. Es war ihm, als höre er einen himmlischen Chor »halleluja« singen. Er blickte zur Decke und flüsterte: »Danke, Christkind!« Es hatte ihm die Sache mit der kleinen Notlüge also nicht übelgenommen. Doch sein Triumphgefühl hielt nicht lange an. Das Schluchzen seiner Frau holte ihn wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. »Was ist denn, Erika?«, fragte er besorgt und legte unbeholfen den Arm um sie. »Na, das sind ja schöne Weihnachten. Hier auf der Polizei … Und unser Sohn ist ganz allein daheim und … und …« Der Rest des Satzes ging in einem Wimmern unter. Kluftinger blickte zum Doktor, der ihn mit einem strafenden Blick bedachte. Offenbar gab er Kluftinger die Schuld an der ganzen Misere. Doch auch auf Langhammers Gesicht legte sich schnell ein sorgenvoller Ausdruck, als Annegret, offenbar von Erika angesteckt, ebenfalls in ein herzerweichendes Jammern ausbrach. Ratlos blickten sich die Ehemänner an. Auch die beiden Polizisten standen hilflos und von der Situation offensichtlich überfordert mit hängenden Schultern hinter dem Tresen. Erika schien sich als Erste wieder zu fangen und flüsterte leise, bevor sie erneut in Tränen ausbrach: »Nicht einmal einen Baum haben wir.« Dann war der Raum sekundenlang nur vom Wehklagen der beiden Frauen erfüllt. Ihre Ehemänner versuchten vergeblich, durch Handauflegen ihre Gattinnen zu beruhigen. Ihnen war die Situation merklich unangenehm. Plötzlich durchbrach eine Stimme das Schluchzen der Frauen. Und sie sprach: »Das ist so nicht ganz richtig.« Alle Köpfe ruckten herum. Der kleinere der beiden Polizisten, der die Worte gesagte hatte, lief rot an. Nur das Radio, in dem heute Abend unablässig Weihnachtslieder liefen, quäkte leise »O du fröhliche« in die gespannte Stille. Der Polizist deutete mit dem Kopf in Richtung Ausgang. Dort stand, an die Wand gelehnt, noch immer der kleine Tannenbaum, den Kluftinger vor kurzem gefällt hatte. »Ich mein ja nur, wegen Ihrer Frauen«, erklärte der Beamte, und es war ihm anzusehen, dass er bereit war, einiges für ein Ende des Weinkrampfes zu tun.
Etwa zwanzig Minuten später saßen sie im Halbkreis um einen Schreibtisch herum, auf dem nun der Baum stand. Sie hatten das Licht etwas gedimmt und richteten ihre Augen ergriffen auf die Tanne, deren Zweige mit einer rot-weißen Flatterleine mit der Aufschrift »Polizeiabsperrung« und einigen Papierschlangen aus dem Reißwolf als Lamettaersatz geschmückt waren. Daneben brannten die Kerzen eines Adventskranzes. Und als einer der Polizisten plötzlich begann, leise eines der Weihnachtslieder im Radio mitzusingen, stimmten sie nacheinander alle mit ein: »Die Kinder stehn mit hellen Blicken, das Auge lacht, es lacht das Herz, o fröhlich seliges Entzücken! Die Alten schauen himmelwärts …« Zufrieden nahm Kluftinger wahr, wie sich seine Frau bei ihm unterhakte und
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