Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
gar nichts gut ist. Anna-Sophie seufzt, als sie keine Antwort bekommt. Und dann, mit einem Lächeln so strahlend wie eine Sternschnuppe in finsterster Nacht, streichelt sie Miriam über die sorgenvoll gekräuselte Stirn und flüstert: »Ich hab dich für immer lieb.«
Miriam antwortet nichts darauf. Aber sie nickt. Und dann küsst sie schnell die klebrige kleine Hand und vergräbt die aufsteigenden Tränen im weichen Kinderhaar.
Auch der Cowboy erwacht aus seiner Erstarrung. Die letzten Minuten hatte er innerlich auf Vollautomatik gestellt und seine Fahrgäste völlig ausgeblendet. Es wurde ihm einfach alles zu viel. Wie so oft, wenn Joe etwas zu nahe geht, schaltet er ab. Das ist reiner Selbstschutz. Deswegen lässt er als Erstes seine eigene ganz persönliche Hölle an unveränderlicher Vergangenheit mit einem lautstarken Gähnen hinter sich und konzentriert sich auf die wesentlichen Dinge des Lebens.
»I hab an Mordshunger!«
Das nächste Ziel steht fest.
FÜNFTES KAPITEL
MORGENLAND EINS
Joe hat noch einen zweiten Entschluss gefasst. Er wird diese Familie noch abfüttern und sie dann so schnell wie möglich loswerden. Das hat vor allem mit seinen Nackenhaaren zu tun, die sich inzwischen wie achtsame Zinnsoldaten mit ihren Bajonetten in Richtung Rücksitz aufgestellt haben. Diese Gefühlstentakel der Gspinnerten, wie Joe die Schwangere insgeheim tituliert, wird er von nun an abwehren. Joe hat nicht mehr den geringsten Zweifel daran, dass diese Frau ein schlechtes Karma hat. Wenn er auch oft vorübergehend ein gewisses Mitgefühl verspürt, überwiegt Joes Misstrauen gegen Menschen, die behaupten, unverschuldet in Not geraten zu sein. Über die Jahre hat er sich mit zu vielen der durchs Netz Gefallenen unterhalten, um noch Illusionen über Unschuld zu haben. Immer strömt dieses Klebrige, nach süßlicher Verwesung Riechende aus den Poren der angeblichen Wohlstandsopfer, wenn sie über ihren Leidensweg lamentierten. Es gibt nur wenige rühmliche Ausnahmen, und Joes beliebtester Menschentest ist Molly. Wer Joe um Geld anbettelt, bekommt gewöhnlich zunächst Putzlappen und Autoschlüssel in die Hand gedrückt. Ehrliche Arbeit gegen ehrliche Euros. Wer seine Sache gut macht, bekommt gerne auch etwas extra, aber das ist selten. Die meisten Münchner Alkies halten die ihm versprochene Stunde Arbeit an Molly gar nicht erst durch.
Miriam machte auf Joe auf den ersten Blick nicht den Eindruck, eine von denen zu sein, die Arbeit für eine Zumutung halten. Aber seine Nackenhaare melden trotzdem Großalarm. Selbst wenn sie nicht nach Alkohol stinkt und ihre Stimme weit weg vom monotonen Singsang der ewig Klagenden ist, so weiß Joe bereits einiges über Miriam. Sie ist eine Lügnerin. In Joes innerem Zuhause gelten Regeln, was die Wahrheit betrifft. Also wird er den dreien noch zu einer warmen Mahlzeit verhelfen, wie es sich für einen guten Christenmenschen gehört. Dann hat er seinen Obolus geleistet. Sollen sich diejenigen kümmern, die auch dafür bezahlt werden. Joe denkt nicht daran, sich seinen Feierabend verderben zu lassen. Und was das zarte, melodische Summen auf dem Rücksitz betrifft, mit dem die Schwangere beginnt, das kleine Mädchen in ihren Armen zu wiegen, so wird er es einfach übertönen. Weihnachtslieder lösen in ihm ohnehin Brechreiz aus. Er wird den Sirenenklängen kein Gehör schenken. Aber Joes Hand zeigt ein verräterisches Zittern, als er energisch das Radio einschaltet. Geschickt dreht er Mollys wunderbar altmodischen Regler durch die Sender mit dem Weihnachtsgedudel bis zum nüchternen Verkehrsfunk. Stau überall. Egal, Hauptsache, ihre sanft singende Stimme auf dem Rücksitz greift mit ihren Tentakeln nicht mehr nach dem dunkelsten Verlies in Joes Herz.
Miriam hat verstanden. Verkehrsfunk sticht Frauengesang, warum auch immer. Trotzdem summt sie leise weiter, denn irgendwie muss auch Miriam sich beruhigen. Ihr wäre es lieber, der Cowboy würde nicht ausgerechnet im Bahnhofsviertel einen Dönerladen anpeilen. Kaum hört sie auf zu singen, schaltet er den Verkehrsfunk wieder ab. Zum Geräusch des sanft tuckernden Diesels kommt jetzt das laut protestierende Knurren aus dem Inneren des Cowboys, das Miriam vorhin schon bemerkt hat. Dieser Mann hat wirklich ein ungewöhnlich lautes Magenknurren. Trotzdem wagt Miriam einen vorsichtigen Protest.
»Könnten wir nicht im Bahnhof etwas essen?«
»Na. Hier gibt’s den besten Döner der Stadt!«
»Super!« Bene ist begeistert.
»Nur Döner
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