Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
Worte sind verbraucht und sein Magenknurren zu laut für philosophische Gespräche. Aber Anna-Sophie lässt sich nicht abwimmeln. Energisch zieht sie an seiner Hand.
»Erklär es mir!«
»Später!«
»Nein! Jetzt!«
»Nein, jetzt nicht!«
»Warum nicht?«
»Weil ich mit leerem Magen nicht denken kann!«
»Aber nicht vergessen.«
»Abgemacht!«
Hand in Hand beobachten der Cowboy und Anna-Sophie, wie Miriam sich hinter Bene durch die dicht an dicht qualmenden Autos schlängelt. In ihrem langen Umhang über dem Bauch ist sie eine beeindruckende Erscheinung, auch wenn das rote Geschenkband um ihren Jungenstiefel das Bild von fast märchenhafter Würde ein wenig ins Lächerliche zieht. Joe bemerkt, wie die vorwiegend türkischen Ladenbesitzer der Nachbarschaft auf die Schwangere aufmerksam werden. Im Münchner Morgenland mögen die Männer hochschwangere Frauen, mit oder ohne Kopftuch. Mit lächelnden Blicken zollen die alten Herren auch Joe ihren Respekt, als er Miriam die Tür zum Dönerparadies aufhält. Einen Pfiff erntet Joe von dem jungen Angestellten des Computershops gegenüber, wo er bereits die eine oder andere verbilligte Hardware erstanden hat. Joe grüßt zurück. Er muss insgeheim lächeln. Muslimische Männer bleiben ihm trotz seiner türkischen Kollegen, mit denen er auch teilweise befreundet ist, in vielerlei Hinsicht ein Rätsel. Wenn es um Frauen geht, könnte Joe Stunden mit ihnen streiten. Im Münchner Morgenland ist das Leben seiner türkischen Kollegen ein einziger großer Widerspruch. Die plakativ bebilderte Stripteasebar an der Ecke, an der die Krähen, wie Joe die muslimischen Frauen insgeheim nennt, schnell vorbeihuschen, um auf die Jagd nach dem besten Gemüse zu gehen, gehört inzwischen einem Araber, angeblich streng gläubig. Unter den Krähen sind die Mütter und Tanten seiner Kollegen, die Joe vereinzelt kennt. Eine von ihnen begrüßt Joe mit großem Hallo, während sie unverdrossen Tomate und Aubergine druckgenau auf Wert prüft. Bevor der heiligen Familie beim Abendessen die wunderbarsten Köstlichkeiten vorgesetzt werden, verbringen die Frauen viele Stunden in ihren Küchen, um jeden Abend zumindest kulinarisch ihre verlorene Heimat zu beweinen. Die meisten leben nicht gerne im kalten, unfreundlichen Deutschland. Manchmal wird Joe zu Geburtstagen oder Hochzeiten der türkischen Kollegen eingeladen. Das Essen ist immer traumhaft. Das Wasser läuft ihm jetzt im Mund zusammen, wenn er an die königlichen Gelage denkt, die von den Krähen aufgetischt werden, während im Hintergrund türkische Sängerinnen mit schmalzig-schluchzenden Klängen die Liebe besingen. In Wirklichkeit haben bei den Moslems die Frauen die Hosen an. Lüge oder Wahrheit? Joe wird nie schlau aus den Krähen, aber er hält der Mutter eines jungen Kollegen höflich die Tür auf. Sie ruft den Frauen im Laden ein paar Worte auf Türkisch zu, bevor sie mit ihrer Gemüsebeute in den weißen Plastiktüten in einem der Hauseingänge verschwindet. Die anderen Türkinnen lachen. Joe nickt mit einem Lächeln. Er versteht, dass Miriams Auftritt bei diesen Frauen eine gewisse Heiterkeit auslöst. Eine ältere Frau beginnt zu kichern. Das rote Geschenkband an Miriams Stiefel hat sich mittlerweile fast aufgelöst. Miriam bleibt nichts übrig, als im Storchengang auf die Dönertheke zuzugehen. Hinter vorgehaltener Hand wird kommentiert und geflüstert, alles auf Türkisch natürlich. Ein peinlicher Moment der Verachtung von Frau zu Frau.
Miriam weiß, dass es ein Fehler ist, hierherzugehen. Wieso kann dieser unmögliche Cowboy ihr nicht den Gefallen einer einfachen Pizzeria tun? Selbst in einer Fast-food-Kette würde sie sich wohler fühlen als unter den Blicken dieser Frauen mit dem sezierenden Blick. Schmerzhaft nackt fühlt Miriam sich mit ihrem Baby unter dem grellen Neonlicht. Die Unmengen von überzuckerten Festtagssüßigkeiten erinnern sie an ihren einzigen Besuch in der Türkei. Trotz Warnung ihrer Mutter musste Miriam unbedingt mit ihrem türkischen Freund in den Sommerferien in seine Heimat fahren. Sie wollte seine Familie kennenlernen, das warme Meer und die Sonne auf ihrer Haut spüren. Miriam hatte gejobbt und eisern gespart, um sechs Wochen lang in diesem Paradies zu leben, von dem ihr geliebter Kemal in dem grauen Dresdner Winter geschwärmt hatte. Sie waren beide blutjung, Miriam gerade erst volljährig und Kemal knapp zwanzig. Kemal war eigentlich Berliner. Aber im Zuge seiner Ausbildung als Maurer für
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