Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
macht schöner!«, kräht Anna-Sophie.
»Pizza wäre mir lieber«, sagt Miriam.
Der Cowboy antwortet nicht, sondern sucht bereits nach einem Parkplatz.
»Du musst ja nichts essen!«
Benes warnender Blick in Miriams Richtung ist eindeutig. Miriam soll die Klappe halten und sich fügen, da sie ja weder die Fahrt noch das Essen bezahlen wird. Der Cowboy grinst insgeheim über den Jungen, der seine Tante provozierend ansieht. Nie würde Joe seine primitiven Gedanken derartig brutal vor den Kindern aussprechen, aber der Junge hat recht. Wer zahlt, der mahlt. Joes überlegene Wortlosigkeit, gepaart mit dem abrupten Parkmanöver in eine frei werdende Lücke, besagt in etwa das Gleiche.
»Schau mal, Miri! Der Weihnachtsmann!«
Anna-Sophie deutet begeistert auf einen älteren Mann mit roter Bommelmütze, der mit seiner Querflöte unterm Arm gerade aus dem Dönerladen kommt. Aus seinem langen grauen Bart wischt er die letzten Reste Knoblauchsoße, und als er den aussteigenden Cowboy entdeckt, hebt er die Hand zum Gruß. Joe grüßt lässig zurück. Er kennt den Mann.
»Des is der Rudi. Der spielt jetzt nachher vorn bei der Paulskirche für die Touris, und vorher spachtelt er beim Verdi den besten Döner der Stadt. Jetzt kommt’s, so an pfundigen Döner habts ihr noch nie gegessen.«
Der Cowboy pfeift schrill auf zwei Fingern nach seinem Freund und ruft über die Straße.
»He, Rudi! Hat’s g’schmeckt?«
Rudi winkt dem Cowboy lässig zu und reibt sich ostentativ den Bauch. Dann klemmt sich der Alte die Querflöte unter den Arm und reiht sich mit seiner roten Bommelmütze in den Strom der Passanten ein, die an der mächtigen Sankt-Pauls-Kirche vorbei auf das Tollwood-Festival auf der Theresienwiese zutreiben, das jeden Winter Touristen und Einheimische anlockt. Joe sieht Rudi mit einer gewissen Bewunderung hinterher.
»Kurz vor Weihnachten schafft Rudi manchmal hundert Euro in einer Stunde. Er ist ein echter Könner.«
»Echt?« Bene sieht dem Mann ebenfalls neugierig hinterher.
»Und was macht er mit dem ganzen Geld?«
»Na, was wohl! Schulden abbezahlen!«
Mit grimmigem Lächeln erzählt der Cowboy die Geschichte von Rudi. In den Achtzigerjahren hatte er eine Werbeagentur, dazu eine anspruchsvolle Ehefrau und zwei Kinder, eine Kombi, die zu Koks, Alkohol und schließlich in den Bankrott führte. Seit zwanzig Jahren lebt er auf der Straße, ist aber erst seit zwei Jahren weg vom Alkohol. Mit über sechzig will Rudi der rutschigen Abseitskurve in Richtung Leberzirrhose endlich entkommen, fügt Joe mit einem gewissen Stolz hinzu. Er hat Rudi nach seinem Alkoholentzug durch seine Beziehungen zur lokalen Musikszene geholfen, wieder Fuß zu fassen. Dazu haben Joe und seine Band Rudi eine Querflöte geschenkt. Darauf ist Joe stolz.
»Der Rudi ist ein guter Kerl, versteht ihr? Der ist einer, auf den man sich verlassen kann, wenn’s brenzlig wird.«
An Joes Hand arbeitet sich Anna-Sophie jetzt durch die dicht an dicht stehenden Autos. Sie drückt dabei ihre Puppe fest an sich.
»Er lügt aber. Er ist gar nicht der Weihnachtsmann!«
»Na, dann muss ich aber mal mit ihm reden.«
Ernste Augen sehen Joe jetzt neugierig an. Anna-Sophie hält die Hand vom Cowboy immer noch fest, obwohl sie bereits vor dem neonbeleuchteten türkischen Supermarkt angekommen sind, in dem Rudi seinen Döner verspeist hat. Joe kniet sich zu dem Mädchen hin, sodass sie auf Augenhöhe sind.
»Lügner taugen nichts.«
Unverwandt sieht das Mädchen ihn an, lächelt und legt ihren Kopf schief, um dann ihren nassen Fäustling milde auf Joes Schulter zu legen. Sie schüttelt den Kopf.
»Alle Erwachsenen lügen. Kinder manchmal auch …«
Sehr sanft und mit einem Lächeln übt Anna-Sophie an dem Cowboy Kritik, denn er will ihr immerhin etwas zu essen kaufen, aber Wahrheit bleibt dann doch Wahrheit. Joe hat bereits gelogen. Das sagt sie ihm jetzt.
»Wir haben doch vorhin dem Polizisten gesagt, dass du unser Papa bist. Das war ziemlich doll gelogen.«
Der Cowboy zuckt nicht einmal mit der Wimper.
»Das war kein Lügen. Das war Schwindeln. Oder, wie man bei uns dahoam sagt, des war a Schmäh, den mia dem Bullen verzählt ham. Ein satter Schmäh ist aber keine Lüge.«
Anna-Sophie ist nicht zufrieden. Ihre Stirn ist gerunzelt, und ihr Lächeln ist jetzt ein wenig angespannt.
»Versteh ich nicht. Warum ist das anders als Lügen?«
Mit einem Seufzer steht Joe auf. Er streckt seine Beine und hält nach Miriam und dem Jungen Ausschau. Seine
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