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Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte

Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte

Titel: Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Joens
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denkmalgeschützte Gebäude hat er in Dresden nach der Maueröffnung ein einjähriges Praktikum gemacht. Sie hatten sich bei einem Straßenfest kennengelernt, als Kemal gerade erst eine Woche in Dresden war. Eigentlich fand er seine Heimatstadt Berlin viel besser. Oft war Miriam auf seinem Motorrad fürs Wochenende mit nach Kreuzberg gefahren. Alle seine türkischen Freunde hatten ebenfalls deutsche Freundinnen. Kemal kannte alle Klubs, arbeitete in seiner Freizeit manchmal als DJ, und Miriam wollte ihn heiraten oder zumindest bis an ihr Lebensende lieben. Er war der erste Junge, von dem sie sich wirklich geliebt gefühlt hat. Doch dann fuhren sie für die Sommerferien in seine Heimat. In dem kleinen Küstenort, in dem sich Kemals Familie traf, wurde Miriam schnell bewusst, dass sie für die dortigen Krähen der letzte Dreck war. Deutsche Mädchen sind Übergangsfrauen, weil sie sich willig zeigen und die türkischen Männer sich an ihnen ihre Hörner abstoßen können. Selbstverständlich würde Kemal ein türkisches Mädchen heiraten, das sich für ihn bewahrt hatte. Die Amazonenkönigin, wie Miriam und Carola ihre Mutter nach der Brustamputation liebevoll nannten, hatte wieder einmal recht gehabt. Hannah war wunderbar erbarmungslos gewesen, als Carola und Miriam sich in der Pubertät zu wandelnden Hormonen entwickelten. Eine beinahe magische Ausstrahlung hatten Hannahs Töchter auf die Männer der Nachbarschaft. Mehr als einmal sah Hannah sich gezwungen einzugreifen. Eines Sonntags, bei Chips und hausgemachtem Hollersirup, hatte Hannah dann mitten am Tag energisch die Vorhänge geschlossen und mit ihrem alten Diaprojektor abwechselnd zwei Bilder an die Wand projiziert. Das eine zeigte einen nackten Pavian mit scheußlich roten Powülsten, das Hinterteil provozierend sichtbar. Das zweite Bild zeigte Leonardo da Vincis nackten Mann mit den ausgebreiteten Armen, eines von Hannahs Lieblingskunstwerken, das auch ihr kleines Büro in der Musikhochschule zierte. Nüchtern, aber mit viel Humor, erklärte Hannah ihren Töchtern, warum die Evolution ihrer Meinung nach den Menschen den aufrechten Gang geschenkt hat. Es bestünden wesentliche Unterschiede zwischen einem Pavian mit dem roten Popo und einem modernen Menschen. Einer davon sei die Befreiung vom Urtrieb der Geschlechtlichkeit. Mit dem Zeigefinger, der bei Hannah zeitlebens dozierend in Bewegung war, deutete sie auf das leuchtend rote Hinterteil des Pavians und dann auf die Mitte des Mannes in Leonardos Kreis, auf die Stelle, die Miriam natürlich schon oft neugierig betrachtet hatte.
    »Seht ihr, was der Unterschied zwischen einem Mann und einer Frau ist? Bleibt einfach weg davon, so lange wie nur irgend möglich!«
    Carola und Miriam hatten ihre Mutter lachend ausgebuht und sie mit Chips beworfen. Hannahs kleine Performance endete in einer fröhlichen Kissenschlacht. Sie wussten doch schon alles, die beiden Schwestern, die damals fanden, dass die Amazonenkönigin übertrieb. Erst einige Liebhaber und viele Jahre später hatte Miriam die Lektion ihrer Mutter verstanden. Das Aufrichten des Menschen. In Hannahs Augen hatten Liebesfähigkeit und Trieb nicht viel gemeinsam. Nach der Liebe hat die Amazonenkönigin zeit ihres Lebens in jedem noch so kleinen Gänseblümchen gesucht. Liebe sollte tief und stark und leuchtend sein und nicht in sich zusammenfallen wie das männliche Organ nach vollzogener Eroberung. Hannah wurde in diesen Jahren eine Meisterin, während Miriam ihre Pubertätsjahre als hormonbefeuerte Pavianfrau verbrachte. Der aufrechte Gang war ihr fern. Miriam hatte zu viel Freude an der Macht, zu der ihr erblühender Frauenkörper ihr verhalf. Sie stolperte blind von einer Katastrophe in die nächste.
    »Woran denkst du?«
    Anna-Sophie sieht Miriam fragend an. Beinahe unbewusst hat Miriam über das glänzende Haar gestreichelt, das sie in seiner Festigkeit sehr an Hannahs Haare erinnert. Wie sehr Miriam die kluge und humorvolle Art ihrer Mutter jetzt helfen würde. Hannah hätte auch in dieser Dönerhölle einen Plan, weil sie einfach immer wusste, wie man sich aus einer unguten Situation wieder befreit. Auch aus ihrem Türkeidilemma war Miriam damals von Hannah befreit worden. In Kemals Familie verstand Miriam zum ersten Mal, dass ihre Macht über die Männer einen Preis hatte. Die Frauen hatten sie gehasst. Es kam zu allerlei Ekelhaftigkeiten, vor allem von Kemals beiden jüngeren Schwestern, die nach der Grundschule in Berlin zurück in die Türkei

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