Mariana: Roman (German Edition)
John hat bei all seinen Fehlern weise geheiratet«, bemerkte er. »Deine Tante ist eine gute Frau, und klug. Beherzige ihren Ratschlag. Die Furcht vor der Pest ist groß hier, und Reisende aus London sind nicht willkommen.«
»Ich bin Euch dankbar«, sagte ich, eingedenk meiner guten Manieren, »daß Ihr mich in Eurem Heim aufnehmt, obwohl Ihr selbst Ansteckung fürchten müßt.«
Seine Augen blickten sanfter. »Ich brauche die Pest nicht zu fürchten. Ich bin ein rechtschaffener Mann. Komm mit.«
Er ging durch den schmalen Flur voran in den hinteren Teil des Hauses, und ich folgte ihm, wobei mein geliehenes Gewand schwer an meinen müden Beinen zog. Zwei Tage unbequemen Reisens hatten mich an den Rand der Erschöpfung gebracht, mein helles Haar war dunkel vor Schmutz und Ruß, meine blauen Augen hatten tiefe Schatten und waren rot gerändert. Der Staub der Straße hing überall an mir, er hatte mein grünes Kleid mit einem häßlichen Grau überzogen und klebte mit einer derart lästigen Hartnäckigkeit in meiner Kehle, daß selbst wiederholtes Husten ihn nicht löste.
Wir traten aus der hell erleuchteten Diele in das weichere Licht der langgestreckten Küche und in die Wärme des Holzfeuers. Eine Frau saß zur einen Seite des Kamins und wiegte ein rundes, rotgesichtiges Baby in den Armen. Neben ihnen beugte sich eine jüngere Frau über das Feuer und hielt ihre Röcke mit geübter Hand von den Flammen weg, während sie den dampfenden Inhalt eines eisernen Kessels umrührte. Beide Frauen wandten die Köpfe, als wir in die Küche traten, ihre Augen richteten sich zuerst kurz auf das Gesicht meines Onkels und dann auf meines. Er deutete mit dem Kopf auf die Frau mit dem Baby.
»Deine Tante Caroline.«
Sie hatte ein hübsches Gesicht, fest und jung, trotz der weißen Strähnen, die die Schönheit der dunklen Masse ihres Haares beeinträchtigten. Aber ihr Gesichtsausdruck war beunruhigend. Er war weder freundlich noch bösartig; es war eher gar kein Ausdruck, ohne Zeichen einer Persönlichkeit, die Augen blickten stumpf und leer wie die eines Schafes. Sie nickte unmerklich zu meiner Begrüßung und fuhr fort, das Kind zu wiegen.
»Rachel, die jüngere Schwester meiner Frau«, sagte mein Onkel, als die andere Frau sich von der glühenden Kochstelle aufrichtete. Sie wenigstens wirkte sehr lebendig und war näher an meinem Alter von zwanzig Jahren – vielleicht ein oder zwei Jahre jünger. Ihr honigblondes Haar fiel in Locken über ihre geröteten Wangen, und ihr offenes Lächeln war herzlich.
»Ich habe etwas Bier heiß gemacht«, verkündete sie, »und auf dem Tisch steht Brot, falls du hungrig bist.«
Ich war in der Tat völlig ausgehungert, da ich seit dem späten Morgen nichts mehr gegessen hatte. Dankbar setzte ich mich meinem Onkel gegenüber an den groben Eichentisch und nahm den irdenen Krug mit würzig duftendem Bier und die großzügig geschnittenen Scheiben des schweren Brotes an, die mir gereicht wurden. Das Mädchen Rachel setzte sich neben mich, und ihre dunklen Augen sahen mich mit unverhohlener Neugier an.
»Was gibt es Neues aus London?« fragte sie. »Ist es wahr, daß der König nach Hampton Court zieht, aus Furcht vor der Krankheit?«
»Ich weiß nicht, was der König für Pläne hat, aber im einfachen Volk ist viel die Rede von Fortgehen.«
Von Rachel angestachelt, erzählte ich von der Panik, die die Stadt ergriffen hatte, dem endlosen Geflüster und den ständig gemurmelten Gebeten und von den verrammelten Häusern, die ich in Westminster gesehen hatte, mit zur Warnung auf die Türen gemalten roten Kreuzen, unter die eine verzweifelt hoffnungsvolle Hand die Worte »Herr, erbarme dich unser« gekritzelt hatte.
Mein Onkel zuckte nur mit den Achseln.
»London ist ein gottloser, sündhafter Ort«, sagte er, »und die Hand des Herrn übt Vergeltung. Die rechtschaffen sind, haben nichts zu fürchten.«
Ich hob das Kinn, meine Augen brannten.
»Meine Mutter hat nicht gesündigt«, widersprach ich ihm, »und doch ist sie tot.«
Mein Onkel kaute einen Mundvoll Brot zu Ende, sein Gesicht blieb ausdruckslos. Seine hellen Augen nahmen plötzlich einen harten und abwesenden Ausdruck an, obwohl seine Stimme ruhig blieb. »Sie war ihrem Vater ungehorsam. In den Augen Gottes ist das eine Sünde.«
Ich mußte nicht weiter nachfragen. Ich wußte sehr gut, daß meine Mutter gegen den Willen ihres Vaters geheiratet und einen armen Amtsschreiber den Aufmerksamkeiten des allgemein akzeptierten
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