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Mariana: Roman (German Edition)

Mariana: Roman (German Edition)

Titel: Mariana: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Kearsley
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Verehrers vorgezogen hatte. Da ich die Liebe meiner Eltern selbst miterlebt hatte, eine Liebe, die über meiner Kindheit gestrahlt und meiner Mutter noch während neun einsamer Jahre des Witwentums Kraft gegeben hatte, konnte ich ihre Wahl einfach nicht als Sünde bezeichnen. Aber ich schluckte meine Widerrede herunter, weil mir einfiel, daß das unabhängige Denken, zu dem meine Eltern mich ermutigt hatten, in anderen Häusern nicht erwünscht war.
    Ich senkte die Augen und hätte auch den Kopf gesenkt, wenn mein Onkel nicht über den Tisch hinweg mit einer seiner riesigen Hände nach meinem Kinn gefaßt und es in den Schein des Feuers gedreht hätte.
    »Du siehst deiner Mutter nicht ähnlich«, sagt er grob, nachdem er mich eine Weile betrachtet hatte. »Annie war ein schönes Mädchen. Aber ich kann gottlob auch deinen Vater nicht in dir erkennen.«
    »Man sagt, ich komme nach der Mutter meines Vaters.«
    Er grunzte, verlor das Interesse und ließ mein Kinn wieder los.
    »Das Mädchen ist todmüde, Jabez«, ließ sich meine Tante unerwarteterweise von ihrem Platz in der Ecke vernehmen, mit einer Stimme, die genauso leblos war wie ihre Augen. »Rachel kann sie auf ihr Zimmer bringen.«
    »Gut«, gewährte er. »Ins Bett mir dir, Kind. Wir stehen früh auf zum Gebet.«
    Ich machte Anstalten aufzustehen, aber er beugte sich plötzlich nach vorne und richtete seine Augen mit einem fanatischen Blick auf mich. »Fürchtest du Gott, Mariana Farr?« fragte er.
    »Man hat es mich gelehrt.«
    Er berührte mich nicht körperlich, aber seine Augen hielten mich auf meinem Platz fest, und seine Stimme war beinahe angsteinflößend in ihrer Intensität. »›Blaset mit der Posaune zu Zion‹«, zitierte er leise, »›rufet auf meinem heiligen Berge; erzittert, alle Einwohner im Lande!‹« Er brach ab und wartete, und ich verstand, daß es ein Test war.
    Ich beendete die Bibelstelle für ihn. »›… denn der Tag des Herrn kommt‹«, sagte ich, »›und ist nahe.‹«
    »Braves Mädchen«, lobte mein Onkel und lehnte sich wieder entspannt und mit einem zufriedenen Lächeln auf seinem Stuhl zurück. »Sehr gut. Wir werden gut miteinander auskommen, du und ich.«
    Damit war ich entlassen. Ich erhob mich, wünschte Onkel und Tante eine gute Nacht und folgte Rachel aus dem Raum. Sie ging ein paar Schritte voraus und hielt eine tropfende Kerze in die Höhe, um uns auf dem Weg über die breite Treppe hinauf in den ersten Stock zu leuchten. Die Luft war kälter hier und feucht, und die Kerzenflamme warf lange, schräge Schatten auf die kahlen Putzwände.
    »Dein Zimmer ist hier«, sagte Rachel und führte mich durch den dunklen Gang zu einer Tür in der hinteren Ecke des Hauses.
    Es war ein ärmliches, spartanisch eingerichtetes Zimmer mit einem schmalen Bett und einem leeren Wäscheschrank, und ich merkte, wie Rachel mein Gesicht beobachtete, als ich mich umsah. »Es ist ein kleines Zimmer«, sagte sie, »aber es ist wunderbar ruhig, und vom Fenster aus kannst du bis hinunter zum Fluß sehen.«
    Sie wollte es mir so offensichtlich recht machen, daß ich mich zu einem Lächeln zwang und irgendeine hohle Floskel äußerte. Die Erleichterung des Mädchens war sichtbar und rührend in ihrer Ehrlichkeit. »Ich habe dir eines von meinen Nachthemden herausgelegt«, sagte sie und deutete auf die weiße, geisterhafte Form auf dem Bett. »Wir wußten nicht, ob du Gepäck mitbringst.«
    »Danke.«
    Ich nahm das Nachthemd und strich glättend darüber, während Rachel die Kerze neben meinem Bett anzündete. Es mußte ihr allerbestes Nachthemd sein, aus feinem weißen Batist gemacht und mit winzigen, geschnitzten Knöpfen versehen. Ich bezweifelte, daß sie es je getragen hatte.
    »Keine Ursache.« Sie errötete vor Freude und blieb einen Moment zögernd an der Tür stehen, die Hand auf dem Knauf. »Ich bin froh, daß du bei uns wohnen wirst«, sagte sie schüchtern.
    Bevor ich antworten konnte, hatte sie die Tür schon hinter sich geschlossen, und ich hörte, wie sich ihre leichten Schritte über den Flur entfernten. Ich fühlte mich nur noch müde und leer und hoffnungslos. Schnell zog ich das beschmutzte grüne Kleid aus und legte es vorsichtig in den Wäscheschrank, zog dann das schöne Nachthemd über, schlüpfte unter die Bettdecke und löschte mit einer Hand die Kerze.
    Dort im Dunkeln spürte ich auf einmal das ganze Gewicht meiner Lage auf mir lasten, und Traurigkeit und Schmerz stiegen wie bittere, dicke Galle in meiner Kehle auf und

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