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Mariana: Roman (German Edition)

Mariana: Roman (German Edition)

Titel: Mariana: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Kearsley
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langsam und verflüssigte sich, die Farben liefen ineinander wie auf der Palette eines Malers, und das ganze Bild erzitterte schließlich, bis ich mich verzweifelt an das Fensterbrett geklammert wiederfand und die Welt um mich herum schwarz wurde.

Kapitel neun
     
    Als Kind hatte ich die Augen immer fest geschlossen gehalten, wenn ich aus einem Alptraum erwachte, aus Angst, daß ich eine wirklich furchtbare Erscheinung neben meinem Bett vorfinden könnte, wenn ich sie öffnete. Derselbe kindische Instinkt ließ mich auch jetzt die Augen geschlossen halten. Ich lag totenstill an die Wand geschmiegt, und das Blut rauschte laut in meinen Ohren, als ich schließlich tastend die Hand ausstreckte.
    Meine suchenden Finger berührten die kühle, leicht uneben gemaserte Oberfläche einer Holzbodendiele, strichen über einen abgenutzten Wollteppich und blieben dann auf einem beruhigend vertrauten Stück kalten, röhrenförmigen Stahls liegen. Entweder hatte sich mein Zeichentisch irgendwie auch in der Zeit zurücktransportiert, überlegte ich, oder ich lag auf dem Fußboden meines Ateliers. Ich setzte auf letzteres, öffnete vorsichtig die Augen und blinzelte ein paarmal, um den Blick richtig einzustellen.
    Das Zimmer erbebte einmal und stand dann still, und mit einem überwältigenden Gefühl der Erleichterung sah ich mich von einem soliden Durcheinander von Dingen des zwanzigsten Jahrhunderts umgeben – Packkisten, Papier und Pinsel lagen unordentlich über den Boden verstreut. Ich hob den Kopf, um mich besser umsehen zu können, und sank dann mit einem heiseren Seufzer auf den Holzboden zurück.
    Ich war auf ein freies Stück Fußboden direkt unter dem ungeschützten Ostfenster gefallen, was die kühle Zugluft erklärte, die ich auf Gesicht und Nacken spürte. Draußen erhellten die ersten Strahlen des Tageslichts einen Himmel, der so blaß war, daß er fast farblos schien. Ich trug immer noch dieselben Kleider, die ich am Abend zuvor bei Vivien angehabt hatte, mein Baumwollpullover und der Rock waren zerdrückt und voller Falten, als hätte ich in ihnen geschlafen.
    Ich war allein im Zimmer.
    Langsam schob ich mich in die Sitzposition, holte Atem und stand dann, mich am Zeichentisch abstützend, vorsichtig auf. Ich fühlte mich so benommen und desorientiert wie Ebenezer Scrooge, als er an jenem berühmten Weihnachtsmorgen in Charles Dickens’ Erzählung schließlich erwachte. Dort war die Ecke, wo mein Bett gestanden hatte, dachte ich, als ich um mich blickte; dort die Stelle, an der ich mich ausgezogen und das staubige grüne Kleid weggelegt hatte; dort die Türschwelle, an der das Mädchen Rachel gestanden und ihr freundliches, schüchternes Lächeln gelächelt hatte.
    Ich taumelte in den Flur und stieg mit unsicheren Beinen die Treppe hinab. Die Küche kam mir kleiner vor, als ich sie in Erinnerung hatte, und ich stand einen Moment stirnrunzelnd da, bis mir die Erklärung aufging – die Küche, in der ich vergangene Nacht gewesen war, hatte keine Speisekammer gehabt. Meine Küche war, nach den Wandschränkchen und Zierleisten in der Speisekammer zu urteilen, wahrscheinlich erst in der viktorianischen Zeit unterteilt worden.
    Ich ging in die Speisekammer hinein, um sie mir genauer anzusehen, und fuhr dort mit einer Hand über die nach Norden zeigende Wand. Dort gab es keine Fenster, und der Putz fühlte sich rauh und uneben an, als ob er über einer vorher vorhandenen baulichen Struktur aufgetragen worden war. Einem offenen Kamin vielleicht …
    »Was geschieht mit mir?« Ich hatte die Worte nur geflüstert, doch sie hallten in dem stillen Raum wider.
    Weil ich auf einmal das Gefühl hatte zu ersticken, stolperte ich zurück in die Küche, riß die Hintertür weit auf und fiel in meiner Hast, aus dem Haus zu kommen, beinahe in den Hof. Nach einer kurzen Distanz hielt ich an, schlang die Arme um meinen fröstelnden Körper und atmete schluchzend tiefe Züge der feuchten Morgenluft ein.
    Schon bevor sich die Haare in meinem Nacken aufstellten, wußte ich, daß ich beobachtet wurde. Ich fuhr herum, um zu der Eiche in der Bodensenke und dem dunklen Reiter auf dem grauen Pferd hinzusehen, von denen ich wußte, daß sie dort sein würden. Eine plötzliche Welle blinder, rasender Wut stieg in mir auf.
    »Geh weg!« schrie ich ihn an. »Geh weg und laß mich in Ruhe. Ich will dich hier nicht haben!«
    Langsam, widerstrebend zogen sich Pferd und Reiter ein paar Schritte zurück, und der graue Morgennebel füllte die Stelle,

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