Mariana: Roman (German Edition)
Inneren stand, staunte ich wieder über die außerordentliche Ruhe, die dieser Ort verströmte, und über die romantische, verlassene Atmosphäre, von der er durchdrungen war. Wie die Abtei von Glastonbury, bei der das Gras hoch oben auf den dachlosen Mauern wuchs, vermittelte diese kleine Kirche den Eindruck, daß alle ihr zugehörigen Menschen schon vor sehr langer Zeit fortgegangen waren.
Was Unsinn war, überlegte ich, da am Sonntag die Bänke wahrscheinlich voll mit den heutigen Gläubigen von Exbury sein würden. Aber der Eindruck blieb dennoch. Ich hätte mich selbst eine Weile in eine der zerkratzten, blankgeriebenen Bänke gesetzt, aber ein Geräusch außerhalb der Kirche erregte meine Aufmerksamkeit. Zuerst war es nur ein schwaches, entferntes Geräusch, das wie das beharrliche Klopfen eines Astes gegen eine Fensterscheibe durch die dicken Mauern drang, aber es kam näher und wurde stetig lauter, bis ich den Klang von Pferdehufen auf der festgestampften Erde des Pfades, der hinter der Kirche vorbeiführte, erkennen konnte – des Pfades, der zum Herrenhaus führte.
Neugierig ging ich hinaus, umrundete die Westseite der Kirche und lief das kurze Stück über den Rasen zu dem niedrigen Gatter, durch das man auf den Gutshauspfad gelangte. Obwohl ich das Pferd deutlich hörte, konnte ich nichts erkennen und trat auf den Pfad, um besser sehen zu können.
Das Schwindelgefühl überkam mich ganz plötzlich. Ich hatte kaum Zeit, meine Fingerspitzen auf die klopfenden Schläfen zu legen und meine Augen gegen die blendende Lichtexplosion zu schließen, als ich auch schon einen lauten Fluch hinter mir hörte und beim Umdrehen ein Paar gewaltige Hufe erblickte, die die Luft nur wenige Zentimeter vor meinem Gesicht durchschnitten. Benommen fiel ich nach hinten und stieß meine Hüfte dabei an einem Stein. Von dem Gewicht des Kleides, das sich um meine Beine gewickelt hatte, am Boden festgehalten, konnte ich nur halb sitzend, halb liegend zu dem Mann hinaufstarren, dessen hervorragende Reitkunst mir ohne Zweifel gerade das Leben gerettet hatte.
Ich konnte sein Gesicht nicht sehen – die Sonne stand in seinem Rücken, und ich hatte nur den flüchtigsten Eindruck von einem kantigen Profil, als er sich darum bemühte, das tänzelnde graue Pferd zu beruhigen. Doch obwohl ich seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen konnte, war ich sicher, daß er nicht lächelte.
»In drei Teufels Namen, Weib!« fluchte er wieder und bestätigte damit meine Vermutung. »Könnt Ihr nicht aufpassen, wo Ihr hintretet? Wünscht Ihr den Tod herbei?«
Mit aufgerissenen Augen schüttelte ich stumm den Kopf, unsicher, auf welche der beiden Fragen ich antwortete. Seine Kinnlinie spannte sich an, als ob er mir gleich eine Strafpredigt halten wolle, aber er stieß nur einen gepreßten, verärgerten Seufzer aus und blickte einen Moment zur Seite, so daß ich das kantige, fein gezeichnete Profil genauer betrachten konnte. Als er mich wieder ansah und zu mir sprach, war seine Stimme ruhiger und beinahe freundlich.
»Seid Ihr verletzt?«
Wieder schüttelte ich den Kopf und ahnte sein Lächeln.
»Könnt Ihr nicht sprechen, Mariana Farr?« fragte er. »Ich habe gehört, daß Mädchen aus London darin besonders gut sein sollen.«
Mir stockte das Blut. »Ich bin nicht aus London, Herr. Ich komme aus Southampton.«
»Seltsam«, sagte er wie nebenher, »vor noch nicht einer Woche gab ich einem Mann ein Bier aus, der behauptete, Kutscher zu sein und aus London zu kommen. Er erzählte mir, daß er nur einen Passagier bis hierher gebracht habe, und das sei ein Mädchen mit Haar so hell wie reife Gerste gewesen. Er wurde etwas poetisch beim Bechern, dieser Kutscher, aber er kam mir nicht wie ein Lügner vor.« Ich sagte nichts, und er sprach weiter, immer noch in diesem leichten, unbekümmerten Tonfall. »Ihr braucht mich nicht so ängstlich anzusehen – ich werde nichts verraten. Ich bin kein Bauer, Mistress, der sich bekreuzigt und Gebete murmelt, wenn jemand das Wort ›Pest‹ flüstert, und ich möchte Euch nicht aus dem Dorf gejagt sehen von Leuten, die zu dumm sind zu erkennen, daß Ihr nicht die Krankheit in Euch tragt.«
Ich kämpfte mich auf die Beine und klopfte den Staub von meinem Rock mit Händen, die nur ganz leicht zitterten. »Ihr seht mich im Nachteil, Herr«, antwortete ich ihm mit soviel Würde, wie ich aufbringen konnte, wobei ich gegen die Sonne zu ihm aufblinzeln mußte. »Ihr kennt meinen Namen.«
»Nun ja, wir haben recht wenig
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