Mariana: Roman (German Edition)
unangenehm. »Woher weißt du von ihm?«
»Wir sind uns heute auf der Straße begegnet«, antwortete ich wahrheitsgemäß, »und er sprach zu mir.«
»Er … sprach zu dir. Und das ist alles?«
»Ja.«
»Und doch erkundigst du dich nach ihm.«
Das Verhör zerrte an meinen Nerven, aber ich unterdrückte meinen Ärger und hielt meine Stimme so ruhig wie möglich. »Ich habe nach ihm gefragt, weil ich neugierig war«, sagte ich und hob ein wenig das Kinn. »Seine Kleidung war ungewöhnlich edel, und er ritt ein schönes Pferd.« Ich schluckte und sah meinem Onkel in die Augen. »Ich war neugierig«, wiederholte ich.
Jabez Howard hielt meinen Blick einen langen Moment fest, bevor er die Augen abwandte und mich lächelnd freigab.
»Richard de Mornay«, sagte er in normalem Unterhaltungston, »ist der junge Herr von Crofton Hall. Er stammt aus adeliger Familie und erbte den Rang eines Baronet von seinem Vater, der vor fünf Jahren starb. Er ist ein Mann, den man respektieren muß, aber«, er sah mich wieder direkt an, »er ist kein Ehrenmann. Der Teufel wohnt in Richard de Mornay. Du wirst nicht wieder mit ihm sprechen.«
Er drehte sich um, ging in das Speisezimmer und ließ mich in einem plötzlichen, kalten Schauder beim Kamin stehen. Ein seltsames Geräusch durchdrang die bedrückende Stille, ein schrilles, hartnäckiges Klingen, das stetig lauter wurde und in kurzen, stakkatoartigen Stößen kam. Der Raum um mich herum begann zu schwanken und flimmerte wie der Horizont an einem heißen Sommernachmittag, und dann ordneten sich die Wände und Möbel neu an, wurden wieder deutlich sichtbar und beruhigend greifbar und solide.
Ich stand in der Speisekammer meines Hauses, gegenüber der Küchentür, und hörte auf das unablässige Läuten des Telefons in der Diele. Ich ließ es einfach läuten, während ich benommen auf die offene Tür starrte, bis die letzten Klangwellen verebbt waren. Die Wirklichkeit floß langsam, in unzusammenhängenden Schüben zurück, und es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bevor ich den Willen aufbringen konnte, mich von meiner Stelle nahe der Speisekammerwand in die geräumige, luftige Diele zu bewegen, wo ich auf das glänzend schwarze Telefon starrte, als sei es ein Wesen von einem anderen Planeten.
Während ich so stand und starrte, eine Hand halb ausgestreckt, begann es wieder zu läuten.
Kapitel zwölf
Der nächste Tag dämmerte sonnig und warm herauf und brachte eine erste Ahnung von der kommenden Hitze des Sommers mit sich. Bis zum frühen Nachmittag waren die Wolken, die am Morgen noch zu sehen gewesen waren, zu Fetzen von durchsichtigem Weiß geschrumpft, die am strahlend blauen Himmel gerade noch erkennbar waren, und die Sonne hing wie ein großer, gelber Edelstein in ihrer Mitte.
In den breiten Blumenrabatten, die die kiesbedeckte Auffahrt nach Crofton Hall begrenzten, waren die Bienen fleißig bei der Arbeit und kümmerten sich in ihrem Eifer nicht um die recht lautstarke, unübersehbare Schlange von Touristen, die gutgelaunt drängelnd und schwatzend auf die Führung um ein Uhr fünfzehn warteten.
Neben mir blieb Geoff plötzlich auf dem Rasen stehen und bückte sich, um einen Schnürsenkel zuzubinden, wobei er einen schnellen, einschätzenden Blick auf die sich versammelnde Menge warf.
»Samstag ist immer unser bester Tag«, bemerkte er zu mir. »Wir lassen der Menge lieber eine Viertelstunde Vorsprung, damit sich nicht irgendwelche Nachzügler unserem Rundgang anschließen.« Er richtete sich auf und lächelte. »Hast du Lust, vorher im Rosengarten eine Runde zu drehen?«
Eine Woche hatte die Wirkung dieses Lächelns nicht gemindert. Ein paar neugierige Augen folgten uns, als wir die Rasenfläche vor dem Haupteingang überquerten, aber es war eine müßige Neugier, und ich bezweifelte, ob einer der Touristen erriet, daß der gutaussehende, lässig in Jeans und ein leuchtendrotes Polohemd gekleidete junge Mann der Eigentümer von Crofton Hall war.
Möglicherweise fragten sie sich jedoch, wer zum Teufel ich war. Geoff hatte gestern am Telefon so förmlich geklungen, daß ich unbewußt die gleiche Förmlichkeit auch der Führung selbst zugeschrieben und aus meiner Garderobe einen eleganten Paisleyrock, eine cremefarbene Seidenbluse und absurd teure italienische Pumps mit unvernünftigen Absätzen gewählt hatte, die bei jedem Schritt im weichen Rasen einsanken. Um nicht steckenzubleiben, mußte ich einen etwas gestelzten Gang annehmen, der das meiste Körpergewicht
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